Außer den Renten werden auch die für den Renteneintritt erforderlichen Beitragszeiten angehoben.
Am vergangenen Mittwoch hat in der Ukraine eine Rentenreform begonnen, und schon die Oktober-Zahlungen an die Rentner sind nach der neuen Formel berechnet worden. Was – außer einer Erhöhung der Rentenauszahlungen – erwartet die Ukrainer, und kann man die von der Regierung vorgeschlagenen Änderungen wirklich als vollwertige Reform bezeichnen?
Das Gesetz über die Rentenreform sieht eine ganze Reihe weitreichender Änderungen vor, von denen die am längsten erwartete die Angleichung der Renten ist. In Wirklichkeit ist hier die Rede nicht von einer Reform, sondern nur von der banalen Umsetzung der gesetzlichen Norm, schließlich soll regelmäßig eine Indexierung der Rente abgehalten werden (die Renten sollen regelmäßig in Abhängigkeit von Inflation und Durchschnittslöhnen automatisch angehoben werden, A.d.R.). Seit dem Jahr 2012 hat die Regierung diese Forderung jedoch einfach ignoriert, und die letzte Aktualisierung wurde durchgeführt unter Berücksichtigung des statistischen Durchschnittseinkommens für das Jahr 2007. In der Folge haben die Rentenzahlungen, abhängig vom Jahr des Renteneintritts, begonnen, sich bis um das Dreifache auseinander zu entwickeln, und acht von zwölf Millionen Rentnern erhalten nur eine Minimalrente von weniger als 1.500 Hrywnja (etwa 48 Euro). Im Übrigen hat sich auch die Durchschnittsrente nur unwesentlich von der Minimalrente entfernt und erreicht selten mehr als 2.000 Hrywnja (etwa 64 Euro). Darüberhinaus wird die Rente, sobald die Rentner arbeiten, mit einer 15-prozentigen Steuer belegt. Auf dass sie ja nicht zu fett werden!
Die Rentenreform hebt die Besteuerung auf, und die Anpassung der Renten ist laut Gesetz obligatorisch. Die Auszahlungen erhöhen sich für neun von zwölf Millionen Rentnern, durchschnittlich steigt die Rente um 700 Hrywnja. Aber die Berechnung ist so gestaltet, dass sich die Rentenzahlungen abflachen: Und zwar dadurch, dass sie demjenigen, der bislang sehr wenig bekommt, etwa 1.000 Grinwa drauflegen, aber für die, deren Renten bisher schon relativ hoch war, fällt die Steigerung eher symbolisch aus. Nach Angaben der Regierung erhalten etwa 1,3 Millionen Ukrainer rund 200 Hrywnja mehr Rente. Für 1,2 Millionen Menschen beträgt die Erhöhung zwischen 200 und 500 Hrywnja. Einen Zuschlag zwischen 500 und 1000 Hrywnja erhalten rund zwei Millionen Menschen. Ab dem 25. Oktober werden die erhöhten Renten ausgezahlt, Zahlungen unter 1.452 Hrywnja wird es in dem Solidarsystem nicht geben.
Darüber hinaus hat die Regierung bereits eine Initiative angekündigt, bis zum 1.November einen Gesetzentwurf zur Neuberechnung der Renten von 560.000 Armeeangehörigen einzubringen, die ebenfalls zum letzten Mal im Jahr 2008 angeglichen worden sind. Zusätzlich zu den Renten werden auch die Versicherungszeiten erhöht, die für den Renteneintritt notwendig sind. Leider Gottes gab es kein Wunder für die Regierung, die Richtung ist eindeutig: Die Zahl der Rentner wächst, die Summen, die das Solidarsystem verschlingt, erscheinen bedrohlich, denn die Zahlungen, die die Menschen auf die Hand erhalten, sind bedrückend niedrig. Und im Verlaufe der Zeit wird das Solidarsystem immer mehr Mittel einfordern – und den Rentnern immer kleinere Zahlungen anbieten. Insofern war die Absage an erhöhte Rentenausgaben schon angekündigt, und so entschied man sich, die Versicherungsdauer zu erhöhen, die für den Renteneintritt erforderlich ist, Denn nachgeben, und sei es einem gesunden Gedanken – daran sind sie in der Gruschewski-Straße (= Regierungssitz in Kiew) nicht gewöhnt.
60-jährige können in Rente gehen, sobald sie 25 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Alle zwölf Monate wird sich die notwendige Beitragszeit um ein Jahr erhöhen, und im Jahr 2028 wird für einen Renteneintritt mit 60 Jahren eine Beitragszeit von 35 Jahren nötig sein. Mit 63 Jahren können Männer wie Frauen eine Rente bekommen, wenn sie zwischen 15 und 25 Jahren versicherungspflichtig gearbeitet haben. Alle zwölf Monate erhöhen sich die erforderlichen Beitragszeiten um ein Jahr, bis auf 25-35 Jahre im Jahr 2028. Ab dem 1.Januar 2019 können Menschen, die 15 Jahre gearbeitet haben, mit 65 Jahren in Rente gehen.
Wenn jemand beim Erreichen des Rentenalters über die vorgeschriebene versicherungspflichtige Arbeitsdauer nicht verfügt, kann er entweder die entsprechende Zeit noch weiterarbeiten oder sich die nicht erreichten Beitragsjahre kaufen. Der Vorschlag, sich Beitragszeiten kaufen zu könne, ist revolutionär und absurd zugleich, nach den Berechnungen der Beamten im Sozialministerium soll ein Jahr Versicherungsbeitrag rund 17.000 Hrywnja (etwa 542 Euro) kosten, legt man das heutige Abgabenniveau zugrunde. In der Zukunft wird diese Summe noch wachsen, und es fällt schwer, sich jemanden vorzustellen, der bereit ist und es sich leisten kann, auf einen Schlag einige zehntausend Hrywnja auszugeben, um in Rente zu gehen und armselige Zahlungen zu erhalten. Leider Gottes steht das Solidarsystem vor einem Kollaps, und die Reformen, die die Regierung vorschlägt, sind nicht geeignet, es zu reanimieren.
Zum heutigen Tag zählt die Ukraine ungefähr 26,3 Millionen Bürger im arbeitsfähigen Alter. Von ihnen sind nur 16,2 Millionen beschäftigt, und Beiträge zur Rentenversicherung zahlen noch weniger. In der Konsequenz finanzieren nur 12,8 Millionen Versicherte zwölf Millionen heutige Rentner. Das solidarische Zusammenspiel von Staat und der in die Rentenkassen abgeführten Abgaben, die das Solidarsystem vorsieht, hat sich schon lange aufgelöst. Nach Meinung der Regierung ist das Hauptziel der Reformen ein funktionierendes Solidarsystem: also die arbeitende Bevölkerung dazu zu bringen, Rentenbeiträge zu zahlen. Dort bauen sie allen Ernstes auf irgendeine geheime Arbeitskraftressource und den Zuwachs an Rentenbeiträgen.
Aber den Optimismus des Sozialministeriums teilen nur wenige, schließlich ist die Volkszählung schon lange her, große Teile des Territoriums sind verloren, elementare innere Migrationsprozesse haben sich vollzogen, und ein Teil der Bürger hat Arbeit auf den Arbeitsmärkten anderer Länder gefunden, und das bedeutet, dass jegliche Datengrundlage fehlt, um auf eine potenzielle Einnahmesteigerung zu spekulieren.
Aber die Entscheidung, die Arbeitsdauer zu erhöhen – statt das Rentenalter – trifft in Wirklichkeit diejenigen schmerzhafter, die im Schattensektor beschäftigt sind. Die Menschen, denen die erforderliche Versicherungsdauer fehlt, werden ihre Renten verlieren, mit Eintritt des Rentenalters wird ihnen staatliche Sozialhilfe vorgeschrieben unter Berücksichtigung aller familiären Einnahmen. Das heißt, die Belastung der Staatseinnahmen wird nicht weniger werden, und zugleich wird es mehr Menschen geben, die an der Grenze zur Armut leben. Nach Angaben des Sozialministeriums liegt ihre Zahl bei etwa Hunderttausend. Aber im Ministerium tun sie so, als würde jetzt die Rente bei 70 Prozent der Rentner, das heißt für acht Millionen Menschen, an ein minimales Niveau „heranreichen“, und fast sicher sind das diejenigen, deren Abgaben in die Rentenkasse nichts oder wenig mehr als nichts betragen. Es fällt schwer, anzunehmen, dass in der allgemeinen Schattenwirtschaft der Arbeitsmarkt dadurch sauberer wird, nur weil in einem reformierten Solidarsystem niemand jemanden etwas über das Verdiente hinaus „dazu bezahlen“ wird.
Außerdem kündigt die Rentenreform an, eine zweite kapitalgedeckte Säule ins Rentensystem einzuführen (= die Regierung plant, ab 2019 Ukrainer unter 35 Jahren dazu zu verpflichten, zunächst zwei Prozent ihres Lohns in einen staatlich verwalteten Rentenfonds einzuzahlen, Ältere können dies freiwillig tun, A.d.Ü.), und das bedeutet eher Alarmschrillen als Freudengeläut. Änderungen des Solidarsystems bergen nur minimale Risiken, es funktioniert schon seit Langem nicht mehr, und hieran verderben kann man praktisch nichts mehr. Aber die Schaffung eines kapitalgedeckten Rentenfonds ohne zugrunde liegende Infrastruktur und ohne Kontrollsystem, und – am wichtigsten – ohne die Möglichkeit, zur Investition der eingebrachten Mittel – das stellt ein gewaltiges Korruptionsrisiko dar. Zum Glück ist das erst eine Perspektive für die kommenden Jahre. Hoffen wir, dass bis zu der Zeit niemand vergessen haben wird, dass die unglückseligen „drei Milliarden Janukowitschs“, die wir erfolgreich nicht zurückgeben, aus einem russischen Staatsfonds kamen, der Teil des russischen Rentensystems ist (im Dezember 2013 hatte der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch einen Milliarden-Kredit Russlands angenommen, den die heutige Regierung sich weigert zurückzuzahlen, A.d.R.). Das ist eine hervorragende Illustration dafür, was mit den Rentenrücklagen der Bürger passiert, wenn eine grundlegende Kontrolle fehlt.
18. Oktober 2017 // Julija Samajewa, Wirtschaftsredakteurin
Quelle: Serkalo Nedeli
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