Für das Jahr 2020 wurden bereits an die 20 ukrainischen Spielfilme – sowohl Koproduktionen als auch eigene Produktionen – angekündigt. Die folgende Liste ist das, was man präzise als Kino bezeichnen kann und was innerhalb der letzten Jahre gedreht wurde – das heißt, bevor die neue Regierung das gerade geplante Fundament des ukrainischen Kinos abgerissen hat.
Tatsächlich sieht die Liste wie ein wahrhaftiger Blitz aus, so hell wie die genannten Filme erstrahlen (oder erscheinen können). Gerade in diesem Sinne erfreuen Sie sich an der Vielfalt der Genres, wo es Kriegs- und Sportdramen, historische Action sowie historische Biografie und sogar Dokumentarfilme über eine ganz reale und lebendige Person gibt.
Hier sind also die sieben Filme.
„Tscherkassy“
Regisseur: Tymur Jaschtschenko
Verleih: ab 27. Februar
Das ist das, was wir die ganze Zeit vom ukrainischen Kino wollten, aber nicht einmal zur Hälfte bekommen haben – ein Film mit lebendigen Bildern von gewöhnlichen Menschen, deren Handlungen und Worten man vertrauen kann, wie auch den Verfilmungen, die gleichzeitig hypnotisieren, faszinieren und sich ausdehnen.
Jaschtschenkos „Tscherkassy“ erzählt über die Mannschaft des gleichnamigen Kriegskutters, welcher während der Ergreifung der Krim durch die Russen im Jahr 2014 nicht aufgab und sich den Gegnern weniger mit Waffen und Kugeln als mit Mut, aber mit einem Mut ohne die übliche brillante und bravouröse Heroisierung, sondern nur mit der Entschlossenheit des Geistes entgegenstellte.
Ein charakteristisches und auch das wichtigste Merkmal des Filmes ist die dokumentarische Präzision (mit Ausnahme einiger Momente): Die Menschen sprechen die Sprache, die allen auf der Flotte bekannt ist, wo Russisch, Surschyk und obszöner Wortschatz sich in einem alltäglichen nicht-literarischen Wirrwarr von Gesprächen, Streitereien oder Geschrei miteinander vermischen.
Eingeschlossen in der Metalldose eines Bootes, umgeben von einer konstant stürmischen und ausweglosen Situation, handeln die Menschen anders – manch einer hält nicht stand und tritt zur Seite des Feindes über, ein anderer hingegen schützt den Kameraden mit seiner Brust vor den russischen automatischen Feuerwaffen. Die Kamera folgt allem ununterbrochen und gespannt. Es ist so, als wäre man selbst mit den Helden.
„Panorama“
Regisseur: Jurij Schylow
Verleih: Ende Sommer – Anfang Herbst
Der dokumentarische Spielfilm über den ehemaligen Betreiber des Hauptstadtkinos „Kinopanorama“ war einer der besten auf dem Odessa Film Festival, wo seine Weltpremiere stattfand.
Dies ist ein wahrhaftiges „Panorama“ des Lebens eines einzelnen Menschen, Walentyn, mit seinen feuchtfröhlichen Versammlungen auf der Arbeit, seinen Gesprächen mit dem Sohn und der Mutter, mit offenen Geständnissen vor der Kamera und mit obskuren wie offenen Bögen: Hier zeigt die Kamera emotional, wie seine Mutter, die nicht aus dem Bett aufstehen kann, ihn ruft, während er in der Küche sitzt und nicht hört, doch dann nach ein oder zwei Jahren liegt nun er nach einer Operation im Bett und ruft nach dem Sohn, der in genau derselben Küche sitzt und nicht hört, weil er Kopfhörer auf hat…
Auf dem Bildschirm sehen wir einen Film über jemanden, der selbst Filme in einem Kino gezeigt hat. Jetzt, im Ruhestand, ist er nur eine Figur unseres Kinos, aber eine hinlänglich kinematografische Figur – ein Possenreißer voller Geschichten, ein Frauenliebhaber voller Lebensfreunde, der in der Lage ist, das Urteil der Ärzte zu überleben, ein optimistischer Mann, der humorvoll bleibt, obwohl das Kino selbst geschlossen wurde.Und im Finale – echte Mystik!
„Atlantyda“
Regisseur: Walentyn Wasjanowytsch
Verleih: ab 19. November
Letztes Jahr brachte „Atlantyda“ der Ukraine den ersten Preis bei einem der drei größten Festivals der Welt, dem Venediger Festival. Und gleichzeitig kann er, wenn er in den Filmverleih kommt, seelischen Trost bringen, denn der Film handelt von der Zeit nach dem russisch-ukrainischen Krieg, den die Ukraine gewonnen hat.
Auf dem Kalender steht das Jahr 2025. Die Hauptperson ist ein Kämpfer mit posttraumatischem Syndrom, der Hauptschauplatz ist der zerstörte Donbass, wo es nicht mehr möglich ist zu leben. Gedreht wurde hauptsächlich in Mariupol und die Hauptrollen wurden von Freiwilligen, Sanitätern und Soldaten gespielt. Aus diesem Grund steckt auch so viel Wahrheit im Bild, so viel Schmerz und Entsetzen, erlebt und gezeigt in höchst realistischer Manier, deren Stilistik aus „Plemja“ [deutsch: Stamm, Familie] stammt, der von Wasjanowytsch als Produktionsdirektor gedreht wurde (es ist klar, wer im Allgemeinen für den Erfolg der Visualisierung von „Plemja“ verantwortlich ist, von der renommierten Zeitschrift Rolling Stone wurde er unter anderem als einer der besten Filme des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ausgezeichnet).
„Atlantyda“ gewann bereits Preise in Tokio, Minsk, Sevilla, Tromsø und beim französischen Les Arcs Film Festival.
„Pohani dorohy“ [deutsch: „Schlechte Straßen“]
Regisseur: Natalija Woroschbyt
Verleih: Winter 2020/2021
Das Regiedebüt der Dramaturgin mit einem berühmten Namen – Woroschbyt – erwies sich als weitaus besser als ihre Drehbücher für „Kiborhy“ [„Cyborgs“] und „Dyke pole“ [„Wildes Feld“]: Die vier Romane in Kombination mit einem Thema des russisch-ukrainischen Krieges sind so gut angelegt, gespielt und so bedeutend, dass sie Fragen aufwerfen, die ein perfektes Lehrbuch für das Verständnis des Albtraums im Donbass darstellen können.
Bei der Blockade stoppt ein Auto, dessen Fahrer angeblich Dokumente zuhause vergessen hat; eine Frau überredet die Tochter ihrer verstorbenen Freundin, zu essen und letztendlich in den Luftschutzbunker zu gehen; den Körper eines toten Soldaten tragen seine Freundin und sein Freund zum Begräbnis; unter den Rädern eines Autos kommt ein Huhn um, über welches seine Besitzer behaupteten, es habe goldene Eier gelegt, sodass es von unschätzbarem Wert ist …
Die Kamera ist nicht allzu beweglich. Es scheint so, als würde sie die Ereignisse nur fixieren, doch sie entfalten sich mit der vollen Wucht des Konflikts, mit in höchstem Maße ehrlichen und unzensierten Dialogen in schrecklichen Situationen, indem sie zeigen, wozu der Krieg die Menschen bringt … und die schlechten Straßen!
Die nächste Lebensphase des schon in Kyjiw dargebrachten Stücks könnte sich in Form des Filmes als der nächste ukrainische Preisträger auf dem Weltfilmfestival erweisen. Wann werden sie fünf Romane verfilmen?
„Dowbusch“
Regisseur: Oles Sanin
Verleih: Herbst 2020 (Frühling 2021)
Die versprochene epische Geschichte über einen der berühmtesten Kämpfer für die Freiheit seines und des ganzen Landes, des Anführers der Opryschky [A. d. Ü. – Bauernbewegung, die etwa vom 16. bis ins 19. Jahrhundert in den galizischen Wäldern und Bergen lebten und Widerstand gegen die Obrigkeit leisteten. Die Hauptfigur des Filmes ist mit Olexa Dowbusch einer der bekanntesten Anführer.], des Wirbelwinds der Herren, die den Jungen Unrecht angetan haben.
Das Versprechen wird auch mit dem größten Budget für eine eigene ukrainische Filmproduktion von 86,7 Millionen Hrywnja [gerade etwas mehr als drei Millionen Euro] untermauert, das für die zehnte Wettbewerbsauswahl der Staatliche Filmagentur Jahr 2017 angekündigt wurde, welchen das Projekt in der Sektion „Thematik des Spiels (Die Größe des ukrainischen Geistes am Beispiel legendärer Helden der Folklore)“ gewonnen hat.
Für die Epik und Schönheit des Bildes garantiert auch der Filmdirektor Serhij Mychaltschuk (Serhiy Mykhalchuk), was sich in vergangenen Fällen zeigte, insbesondere in seiner Arbeit im Zuge von „Mamaj“ und „Powodyr“.
In der Tat sollte die Schönheit die Visitenkarte von „Dowbusch“ sein – so eifrig, wie die Schöpfer auf das Aussehen der Figuren und ihrer Kostüme, die Dekorationen und die Spezialeffekte geachtet haben und dabei moderne Designentwicklungen mit authentischer Kleidung und alltäglichen Gegenständen kombiniert haben. Es wurde auch an den malerischsten Orten der Karpaten gedreht – in Bukiwka und Synewir, auf der Tschornohora und auf dem Stih, auf Pyssanyj Kamin und im Bahrjanyj lis …
Interessanterweise ist dies bereits das dritte „Dowbusch“-Projekt.
„Budynok Slowo“ [deutsch: Das Haus „Wort“]
Regisseur: Taras Tomenko
Verleih: Winter 2020/2021
Es gab ursprünglich einen gleichnamigen Dokumentarfilm, welcher im vergangenen Jahr der Preisträger der „Solota dsyga“ [A. d. Ü. – nationaler ukrainischer Filmpreis] war. Jetzt handelt es sich um einen Spielfilm, der vom selben Regisseur Taras Tomenko, der das Drehbuch mit derselben Schriftstellerin und Dichterin Ljuba Jakymtschuk geschrieben hat, über dasselbe Charkiwer Haus gedreht wurde, wo sie in den 1930er-Jahren beinahe die gesamte Blüte der Nation versammelten und dann vernichteten, einschließlich Johansen, Semenko, Pidmohylnyj, Kulisch, Kurbas sowie weitere Hunderte Schriftsteller, Poeten, Regisseure, Schauspieler, Wissenschaftler …
Die Exponenten der Rosstriljane widrodschennja [A. d. Ü. – „Niedergeschossene Wiedergeburt“: eine kulturell-künstlerische Strömung der 1920er und 1930er, deren Vertreter vom stalinistischen Regime hingerichtet wurden] werden von zeitgenössischen Schauspielern gespielt – von Wjatscheslaw Dowschenko, Jurij Odynokyj, Nina Naboka, Borys Heorhijewskyj, Ihor Hnesdilow, Hennadij Popenko, Roman Jasynowskyj und anderen.
Sie öffnen das „Budynok ‚Slowo‘“ wie eine Schachtel, in der in detektivischer und dramatischer Form gezeigt wird, wer wie von wem gelebt hat und auf welche Weise sie zugesehen haben, weshalb der Schriftsteller Chwyljowyj sich erschossen hat, wie der Poet Trojanker alle begeisterte und warum Semenko den Buchstaben M aus dem Wort „dym“ [deutsch: Rauch] in eine andere Zeile übertrug.
Das „Verleihleben“ des Filmes beginnt bereits nach seinen Reisen durch die Festivals.
„Is sawjasanymy otschyma“ [deutsch: Mit verbundenen Augen]
Regisseur: Taras Dron
Verleih: Herbst 2020
Dieser Film hat eine interessante Verbindung zu „Atlantyda“ von Wasjanowytsch – hier geht es ebenso um eine Zeit in der Ukraine, in der wir den Krieg gewonnen haben werden. Bloß befindet sich hier im Zentrum der Handlung ein Mädchen, dessen Freund nicht von der Front zurückgekehrt ist.
Und das Mädchen ist kein gewöhnliches – eine Mixed-Martial-Arts-Kämpferin. Um es überzeugend aussehen zu lassen, ging die Schauspielerin Maryna Koschkina für ein halbes Jahr ins Fitnessstudio und lernte, im Ring zu kämpfen.
Das Drama im Film baut auf ihrer Beziehung zur Vergangenheit, zu ihrem Trainer, ihrer Beziehung zur Mutter ihres Freundes und dem neuen Freund sowie auf dem Bedürfnis, irgendwie weiterleben zu wollen, auf …
Ein vergleichbarer Film wurde noch nicht gedreht (ganz zu schweigen vom schrecklich gescheiterten „Prawyla boju“ [deutsch: „Regeln des Kampfes“]). Hier werden auch die Kämpfe gut gefilmt und dramatische Situationen motorisch und detektivisch dargelegt, sodass sie den Massenzuschauer interessieren könnten. Dabei hilft vielleicht auch der Name des Regisseurs, der früher mit DZIDZIO sein „Perschyj ras“ [deutsch: „Erstes Mal“] hatte. Plus Koschkina („Sachar Berkut“, „Widdana“) und Oleh Schulha („Tscherwonyj“, „Posywnyj“, „Banderas“) …
Kurz gesagt, ein Film des mittleren Wegs.
Wem das zu wenig ist, dem rate ich zur Tragikomödie „Ja prazjuju na zwyntari“ [deutsch: „Ich arbeite auf dem Friedhof“] von Olexij Taranenko und die Dokumentation „Sarwanyzja“ [A. d. Ü. – Wallfahrtsort in der westukrainischen Oblast Ternopil] von Roman Chimej und Jarema Malaschtschuk (manche nennen den Film bereits genial).
25. Januar 2020 // Jaroslaw Pidhora-Hwjasdowskyj, Journalist, Filmkritiker, Redakteur
Quelle: Ukrajinska Prawda – Schyttja
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