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Die Sprache des Krieges

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Sprache des KriegesRyan McGuire/Gratisography.com
Ende des 19. Jahrhunderts schrieb der Franzose Paul Lafargue (französischer Sozialist und Schwiegersohn von Karl Marx): „Ähnlich wie ein lebender Organismus wird Sprache geboren, entwickelt sich und stirbt; im Verlaufe ihrer Existenz unterläuft sie eine Reihe von Evolutionen und Revolutionen, sie eignet sich Wörter, sprachliche Wendungen und Grammatikformen an und verwirft sie wieder.“ In Lafargues Arbeit wurden interessante Beispiele für Veränderungen angeführt, die in der französischen Sprache zwischen 1789 und 1794 entstanden waren.

In vorrevolutionärer Zeit bedeutete das Wort niveler „das Nivellierinstrument eichen“, aber nach der Revolution „egalisieren“. Bis zur Revolution hieß spéculer „sich abstrakten Überlegungen anheimgeben“, danach aber „Finanzspekulationen zu betreiben“. Bis zur Revolution bedeutete lanterner „flackern“, danach aber „an Laternen aufgeknüpfen“.

Nun ja, für uns liegen ähnliche Metamorphosen schon nicht mehr im Reich des Fantastischen. Der hybride Krieg mit Russland hat sich zu einem wahrhaftigen Sprach-Laboratorium entwickelt, in dem Wörter und Gedanken in ähnlich bizarrer Art aufgemischt werden. Das betrifft die ukrainische wie die russische Sprache gleichermaßen. Der Krieg hat vorgeführt, wie abstrakte Ausdrücke plötzlich mit emotionalem Inhalt gefüllt werden und ein neues Leben erlangen. „Annexion“, „Besatzung“, „Revolution“, „Umsturz“ sind so zu Signalwörtern geworden, die es ermöglichen, das Eigene vom Fremden auf Anhieb zu unterscheiden. Ihre akademische Begriffserklärung interessiert dabei kaum noch.

Ein russischer Staatsbürger zum Beispiel, empört über den Begriff „Annexion“, beginnt im Normalfall zu beweisen, dass alle Krim-Bewohner nach Russland strebten: auch wenn „Annexion“ an sich die einseitige Besetzung eines Teils eines anderen Staates bedeutet und überhaupt nichts zu tun hat mit der Sympathie der örtlichen Bevölkerung.

Der Krieg hat vorgeführt, dass die erworbene Bedeutung eines Wortes nichts gemein haben muss mit ihrer ursprünglichen Wortbedeutung. Zum Beispiel bezog sich der Termin „Separatist“ ursprünglich auf den Separatismus und den Eingriff in die territoriale Integrität der Ukraine. Aber heutzutage wird niemand den patriotischen Schriftsteller Schkljar einen „Separatisten“ nennen, der letztlich dazu aufruft, von der okkupierten Krim, dem Donezk und Lugansk abzulassen. Dagegen verstehen sich unter „Separatisten“ immer öfter prorussisch gesonnene Personen, die auf die schnelle Reintegration des Donbas nach den Bedingungen des Kremls drängen. Das Wort hat seine negative Konnotation behalten, seinen Sinn aber ins Gegenteil verwandelt.

Der Krieg hat vorgeführt, dass die Beleidigung des Gegners eine subtile Kunst ist. Schimpfwörter, die irgend jemandes Einzig- und Andersartigkeit hervorheben sollen, verwandeln sich mit Leichtigkeit in stolze Selbstbezeichnungen. So ist zum Beispiel mit dem „Banderowez“ (ursprünglich ukrainisch-nationalistische Anhänger Stepan Banderas, A.d.Ü.) und den „Ukrop“ (ursprünglich abwertende Bezeichnung der Separatisten für die Regierungstruppen, anschließend von Präsident Poroschenko zu „Ukrainischer Widerstand“ umgedeutet und danach von Leuten des Oligarchen Kolomojskij als neuer Parteiname genutzt, A.d.R.) geschehen: Dagegen sind jene Beiwörter wirklich beleidigend, die eine unerwünschte Ähnlichkeit mit dem Feind unterstreichen: Der „Wyschiwatnik“ kränkt unsere Hurra-Patrioten ernstlich. Und auf der anderen Seite der Front können stolze Verse entstehen: „Ich bin ein Watnik, ein Nachfahre der Sowok“. Aber niemand schreibt: „Ich bin ein russischer Nationalist, ich bin ein Raschist“ (geläufige Begriffe in den sozialen Medien/Internet-Meme. Watnik = abwertend für russische Patrioten. Wyschiwatnik = abwertend für Wyschiwanka-Träger bzw. ukrainische Patrioten. Sowok = abwertend für sowjetisch. Raschist = Wortneuschöpfung aus „russisch“ und „Faschist“, A.d.Ü.).

Und außerdem hat der Krieg vorgeführt, dass das ukrainische politische Glossar, wie es noch in den Nullerjahren benutzt wurde, nicht mehr aktuell ist. Die hybride Konfrontation hat Bezeichnungen wie „Orangene“ und „Weiß-Blaue“, „Linke“ und „Rechte“, „demokratische Kräfte“ und „Nationaldemokraten“ ins Aus befördert… fast unsere gesamte Begrifflichkeit hat eine Wirklichkeit beschrieben, in der die Ukrainer ewig die Wahl zwischen zwei Vektoren hatten – imperial und national.

Und als im Jahr 2014 die Wahl getroffen war – da stellte sich der alte Wortschatz als unzulänglich heraus. Beispielsweise sind als „demokratische Kräfte“ in der Ukraine über lange Jahre die Gegner eines prorussischen Autoritarismus verstanden worden. Aber nach der Besetzung der Krim und des Donbass hatten die prorussisch gesinnten Ukrainer keine Chance, einen autoritären Führer für das ganze Land zu wählen. Dagegen stellte sich heraus, dass viele der gestrigen „Demokraten“, die mit Kutschma und Janukowitsch gekämpft hatten, bereit waren, eine nationale Version des Autoritarismus zu unterstützen. Und so ließ sich das alte politische Klischee schon nicht mehr auf unsere Wirklichkeit anwenden.

Außerdem braucht eine neue Ukraine auch eine neue Lexik. Wie soll man die ehemaligen Mitkämpfer des Maidan nennen, die sich in zwei Lager gespalten haben? Diejenigen, die die persönliche Freiheit und Menschenrechte für das höchste Gut halten, und diejenigen, für die der Staat über allem steht? „Linke“ und „Rechte“ – wie irgendjemand vorschlägt?

Aber diese Terminologie ist ungewollt mit der Vorkriegsepoche verbunden, als die Streiter für eine ukrainische Unabhängigkeit „Rechte“ genannt wurden, und „Linke“ die Reaktionär-Imperialistischen vom Typ Simonenko (Pjotr Simonenko, Vorsitzender der Kommunistischen Partei der Ukraine, A.d.Ü.). Im Gegensatz zum Terminus „Rechte“, wird auf der Bezeichnung „Linke“ in der Ukraine noch lange ein Schatten liegen, und der Versuch, sie Gegnern anzuhängen, erscheint als eine unterschwellige Manipulation.

„Linksliberale“ und „Rechtsliberale“, wie Andere vorschlagen? In der Mehrheit halten es die konventionellen „Linksliberalen“ mit dem Individualismus, halten nichts von staatlicher Einmischung in die Wirtschaft und sind weit entfernt von klassischer linker Politik. Und die konventionellen „Rechtsliberalen“, die für kollektive Werte streiten, haben in Teilen überhaupt keine Verbindung zum Liberalismus.

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Und einfach „Liberale“ und „Konservative“ – in Anlehnung an die alte Tradition im Westen? Aber es ist schwierig, jene Ukrainer, die vom Staat radikale Veränderungen fordern, als „konservativ“ zu bezeichnen.

Und wenn man einfach berücksichtigt, dass es in Wirklichkeit in unserer Gesellschaft nicht zwei Meinungsschattierungen gibt, sondern einiges mehr gibt? Und jede genaue Klassifizierung sich auf irgendeine Weise an der Wahrheit versündigt? Das macht die Aufgabe noch viel schwieriger.

Natürlich, unüberwindliche Schwierigkeiten gibt es nicht, und eine allgemein anerkannte politische Lexik wird sich in der Ukraine immer wieder aufs Neue formieren. Wobei sich das ziemlich rasch vollziehen wird: in dem Maße nämlich, in dem unsere inneren Widersprüchlichkeiten immer offensichtlicher zutage treten.

Die Frage ist nur, als was sich die neue politische Lexik erweist? Die berüchtigte „Hasssprache“, die in unseren einheimischen Massenmedien dominiert, ist nicht nur deshalb schlecht, weil sie russische Staatsbürger und die prorussischen Kämpfer im Donbass beleidigt. Sie ist gefährlich, weil sie leicht an innerukrainische Bedürfnisse angepasst werden kann.

Heutzutage müssen wir einen Begriffsapparat, mit dem wir uns austauschen können, fast von Null aus aufbauen, und groß ist die Verlockung, sich schon gewohnter Kriegsklischees zu bedienen. Wenn jeder, der nicht mit deiner Perspektive übereinstimmt, ein Feind ist. Wenn jegliche Kritik, die dir unangenehm ist, Verrat ist. Wenn jeder, der nicht mit uns ist, zu einem Komplizen des Feindes wird. Wenn deine Gegenspieler nur abwertende und beleidigende Bezeichnungen wert sind.

Ja, die Sprache des Krieges besticht durch ihre Gradlinigkeit, Kompromisslosigkeit und Ausdruckskraft. Aber, als Sprache der ukrainischen Innenpolitik, wird sie den permanenten Krieg Aller gegen Alle bedeuten. Und in diesem Krieg wird es sicher keine Sieger geben.

29. September 2017 // Michail Dubinjanskij

Quelle: Ukrainskaja Prawda

Übersetzerin:    — Wörter: 1131

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