Am 31. Oktober wird in der Ukraine gewählt. Während die Partei von Julia Tymoschenko zunehmend zersplittert ist, werden Oppositionelle, Journalisten und Nichtregierunsgorganisationen vom Geheimdienst eingeschüchtert. Der Zustand der Demokratie in der Ukraine ist labil. Ein Bericht aus Kiew.
Von Kyryl Savin und Andreas Stein
Die neue politische Saison begann in der Ukraine traditionell mit dem Unabhängigkeitstag am 24. August. Präsident Janukowytsch hielt eine TV-Ansprache an die Nation. Die Kernbotschaft war, dass die Ukraine wirtschaftliche Unabhängigkeit brauche und die neue Regierung und der Präsident alles dafür tun würden, um wirtschaftliche Stabilität und Unabhängigkeit der Ukraine sicherzustellen. Dafür sei es notwendig, so Janukowytsch, die Ordnung im Lande wiederherzustellen.
In der nächsten Zeit wird sich die Politik der Ukraine voll und ganz dem Wahlkampf für die am 31. Oktober 2010 stattfindenden Kommunalwahlen konzentrieren. Startschuss hierzu war offiziell am 11. September. Zudem ist zu erwarten, dass die Partei der Regionen (PdR) noch im Oktober, also noch vor den Kommunalwahlen, das Projekt der Verfassungsänderung angeht.
Neue Fassung des Kommunalwahlgesetzes
Die Ferien der Abgeordneten endeten früher als geplant. Am Tag des Besuchs von Wiktor Janukowytsch in Berlin, dem 30. August 2010, traten die Abgeordneten der Werchowna Rada, dem Parlament der Ukraine zu einer Sondersitzung zusammen. Dabei wurde das neue, am 10. Juli mit 246 Stimmen angenommene Kommunalwahlgesetz kosmetisch geändert. Zwei diskriminierende Normen wurden gestrichen. Nun dürfen alle Parteien ihre Vertreter in die Wahlkommissionen delegieren und nicht nur Parteien mit Fraktionsstatus in der Werchowna Rada. Zudem dürfen alle lokalen Parteiorganisationen ihre Listen und Einzelkandidaten zur Wahl stellen und nicht wie früher vorgesehen nur diejenigen, die spätestens 365 Tage vor dem Wahltermin registriert worden sind.
Diese Änderungen wurden eilig umgesetzt, da Wiktor Janukowytsch Angela Merkel bei ihrem Treffen in Berlin die Berücksichtigung der Kritik am vorher gültigen Kommunalwahlgesetz mitteilen wollte. Auch von amerikanischer Seite war zuvor diplomatischer Druck auf die Präsidialadministration in Kiew ausgeübt worden. Damit wollte die Administration Janukowytsch Argumente liefern, um eventuellen Vorwürfen von westlicher Seite bezüglich des Demokratieabbaus in der Ukraine und der Einführung von Zensur zuvorzukommen. Von den beiden geänderten Normen waren Tymoschenko und ihre Vaterlandspartei nicht betroffen. Die Beschränkungen machten aber für 65 Prozent aller Lokalorganisationen der Partei „Starke Ukraine“ von Vizepremier Serhij Tihipko und 75 Prozent der Partei „Front Smin“ von Ex-Parlamentspräsident Arsenij Jazenjuk eine Beteiligung an der Wahl unmöglich.
Trotz dieser Änderungen wurden nicht alle Mängel des Wahlgesetzes verbessert – kleine, aber wichtige Details sind im Gesetz verblieben: so sind z.B. gemäß dem Gesetz Wahlkommissionen am Wahltag beschlussfähig, selbst wenn nur drei von 18 Personen anwesend sind. Früher lag das notwendige Quorum bei 50 Prozent. Die Regelung bietet Möglichkeiten für Manipulationen, wenn diese politisch gewollt wären.
Tymoschenko sieht die Teilnahme des eigenen Blocks an den Kommunalwahlen in Gefahr
Julia Tymoschenko beklagte sich auch bereits bei westlichen Diplomat/innen, die sie zu einer Sitzung in den Sitzungssaal der Werchowna Rada eingeladen hatte, um ihre Sichtweise der Vorgänge im Land zu verbreiten. Von den 50 eingeladenen Botschaftern kamen nur die von Kanada und Frankreich. Knapp 20 weitere Botschaften schickten rangniedrigere Vertreter, der Rest ignorierte die Einladung völlig. Auf diesem Treffen berichtete Tymoschenko von Problemen ihres Blockes vor allem in den Gebieten Charkiw, Kiew, Luhansk und Lwiw, wo sich unter dem Label ihrer Partei „Batkiwschtschyna/Vaterland“ und dem Block Julia Tymoschenko verschiedene Organisationen für die Wahlen anmelden.
Hintergrund der Kritik sind offene Übernahmen lokaler Parteiorganisationen aber auch Übertritte lokaler Parteivertreter, die ihre Pfründe nicht durch eine Unterstützung von Julia Tymoschenko gefährden wollen. Der Beschwerde von Julia Tymoschenko ist vor allem insofern glaubwürdig, als dass die Absetzung der „Überläufer“ und die dann fällige Neuregistrierung neuer örtlicher Parteivorstände beim Justizministerium behindert wird Die Implosion des Blockes Julia Tymoschenko wäre das Beste, was der Partei der Regionen passieren könnte. Als eine Gegenmaßnahme beschloss die Fraktion des Blockes Julia Tymoschenko die Umbenennung der Fraktion in „Block Julia Tymoschenko – Batkiwschtschyna/Vaterland“, um die Zugehörigkeit zur Rumpfpartei zu verdeutlichen. Inzwischen wird in Betracht gezogen die Wähler in den betreffenden Gebieten dazu aufzufordern, nicht zur Wahl zu gehen.
Am 23. September wandten sich vier von insgesamt 15 Mitgliedern der Zentralen Wahlkommission (ZWK) der Ukraine mit einem offenen Brief an Präsident Janukowytsch. Vier ZWK-Mitglieder des Blockes Tymoschenko warfen dem Präsidenten vor, dass der Vorsitz in den territorialen Wahlkommissionen zu Gunsten der Koalitionsparteien (Partei der Regionen: 32%, Lytwyns Volkspartei: 15%, Kommunisten: 9%, Tymoschenkos Vaterlandspartei: 16%) verteilt wurde. Die Person der Wahlkommissionsvorsitzenden spielt eine umso größere Rolle, als dass dem neuen Kommunalwahlgesetz nach Wahlkommissionen am Wahltag ihre Beschlüsse schon mit drei anwesenden Kommissionsmitgliedern fassen dürfen.
Block Julia Tymoschenko wäre mit Altfassung des Kommunalwahlgesetzes zufrieden gewesen
Ein pikantes Detail dieses Treffens mit westlichen Diplomaten ist neben der Einladung in das Parlamentsgebäude, was bei einer Verfolgung und Behinderung der Opposition, wie es Julia Tymoschenko immer gern darstellt, nicht möglich wäre, die Behauptung Tymoschenkos, dass sie die Änderungen im Kommunalwahlgesetz begrüßt, auch wenn es noch kleinere Unstimmigkeiten gibt. Kurz vorher wurden von Vertreter/innen ihrer Partei im Parlament die nun erfolgten Änderungen zur Zulassung von Kandidaten von Parteiorganisationen, die weniger als ein Jahr vor Ort registriert sind, mehrfach als undemokratisch abgelehnt.
Diese Ablehnung erklärt sich aus der Ansicht, dass die Kommunalwahlreform die Konkurrenz für den Block durch Parteien wie die „Sylna Ukrajina“ (Starke Ukraine) von Vize-Premierminister Serhij Tihipko, die „Front Smin“ (Front der Veränderungen) von Ex-Parlamentssprecher Arsenij Jazenjuk und durch die „Hromadjanska Posizija“ (Bürgerposition) von Ex-Verteidigungsminister Anatolij Hryzenko zu verringern würde. Deren Kandidaten hätten es schwerer gehabt sich für die Wahl zu registrieren, da sie ihre Organisationen erst vor der Präsidentschaftswahl gegründet hatten und nur durch „Zukäufe“ flächendeckend und gesetzeskonform hätten antreten können. Nun wurde durch die Neufassung des Kommunalwahlgesetzes die Konkurrenz für Julia Tymoschenkos Partei bzw. Block erhöht.
Partei der Regionen und Janukowytsch verlieren an Popularität
Zu den Änderungen gedrängt wurde die Partei der Regionen nicht nur durch den Druck aus dem Westen, sondern vor allem durch sinkende Umfragewerte. Einer Umfrage des Rasumkow-Zentrums zufolge sank von Mai bis August die Zustimmung für die Partei der Regionen von 41,5 Prozent auf 27,6 Prozent. Damit ist sie zwar noch bei weitem die stärkste Kraft in der Ukraine, doch hat sich der Abstand zum Zweitplazierten, dem Block Julia Tymoschenko, verringert. Tymoschenko konnte jedoch in der Umfrage nicht von der Schwäche der Partei der Regionen profitieren. Im Gegenteil sank auch die Zustimmung für BJuT von 14,9 auf 13,7 Prozent. Zulegen konnten hingegen die „Sylna Ukrajina“ mit einer Steigerung von 9,1 auf 12,1 Prozent und die „Front Smin“ von 4 Prozent auf 5,3 Prozent.
Der Großteil der abgewanderten vorherigen Unterstützer der Partei der Regionen würde jetzt entweder „Gegen alle“ stimmen oder ist unentschlossen. Daher wohl das Kalkül der Regionalen, dass sie die Mehrheit in den für die Partei der Regionen unsicheren westlichen und zentralen Regionen über die Unterstützung durch „Sylna Ukrajina“ und die „Front Smin“ erhalten werden. Die offenen gegenseitigen Sympathiebekundungen von Serhij Tihipko und Olexandr Jefremow, dem Fraktionsvorsitzenden der Partei der Regionen in der Werchowna Rada, könnten ein Hinweis auf Absprachen zwischen diesen beiden Kräften sein, zumal Serhij Tihipko Teil der Regierung ist.
Zu berücksichtigen ist bei diesen Überlegungen auch, dass Serhij Tihipkos Partei die einzige ist, welche landesweit gleich stark vertreten ist und nicht über regionale Schwerpunkte wie der Block Julia Tymoschenko (Westen) und die Partei der Regionen (Osten und Süden) mit dem umkämpften Zentrum verfügt. Jazenjuks Partei ist hingegen vor allem im Westen mit dem regionalen Schwerpunkt Tscherniwzi verankert und das ist die Region, wo die Partei der Regionen ihre Probleme hat. In den Transkarpaten könnte die Partei „Jedynij Zentr“ (Einiges Zentrum), ebenfalls ein Zerfallsprodukt der Partei von Ex-Präsident Juschtschenko „Nascha Ukrajina“ (Unsere Ukraine), eine Rolle bei der Mehrheitsbeschaffung für die Partei der Regionen spielen. Bereits bei den Präsidentschaftswahlen gab es hier einen Pakt zwischen dem regionalen Patriarchen Wiktor Baloha, der Präsidialamtschef unter Juschtschenko war, und der Partei der Regionen, wodurch Wiktor Janukowytsch im zweiten Wahlgang dieses traditionell eher „orange“ Gebiet für sich gewinnen konnte.
Gaspreise und Preise für Grundnahrungsmittel beeinflussen Wahl
Die Wahlkampagne insgesamt begann inoffiziell schon am 24. August, dem Unabhängigkeitstag der Ukraine. Da meldete sich Julia Tymoschenko aus den Sommerferien mit einer Rede am Schewtschenko-Denkmal in Kiew zurück. Die wichtigsten Themen für die Opposition unter Tymoschenko sind wie erwartet die Gaspreiserhöhungen und daran anschließende Folgeteuerungen der kommunalen Nebenkosten. Tymoschenko beteuert, dass sie diese selbst niemals zugelassen hätte. Zudem wird gezielt durch Anmerkungen in Reden und Pressemeldungen versucht unter der Bevölkerung Unruhe bezüglich der Lebensmittelpreise zu stiften. So gab es Gerüchte über einen Mangel an Buchweizen (Buchweizen gehört zu den Grundnahrungsmitteln für sozial Schwache in der Ukraine), wodurch sich die Regierung gezwungen sah, Importquellen für Buchweizen zu suchen. Zudem gab es Meldungen über eine anstehende Kartoffelknappheit, die sich ebenfalls als ungerechtfertigt herausstellten, da die Ernte in der Ukraine bei allen Grundnahrungsmitteln im Durchschnitt liegt. Dennoch versucht die Regierung mit allen Mitteln ein Ansteigen der Preise für Grundnahrungsmittel zu verhindern, inoffiziell existiert bislang ein Ausfuhrverbot für Weizen, welches auch auf Mais, sowie Kartoffeln und Buchweizen ausgeweitet werden könnte. Das inoffzielle Ausfuhrverbot wird über die Zollabfertigung geregelt, die sich mehrere Tage und Wochen hinziehen kann, wodurch die Ausfuhr unrentabel gemacht wird.
Ein weiteres Argumentationsfeld Tymoschenkos ist die mit dem IWF geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters für Frauen. Sie selbst hatte einem ersten Memorandum mit dem IWF im Oktober 2008 selbst zugestimmt. Vor den Präsidentschaftswahlen – und mit Rücksicht auf die Wählerschaft – setzte Tymoschenko die Reform allerdings nicht um. Dies und die von der Partei der Regionen durchgesetzte Erhöhung der Mindestlöhne und Renten führte dazu, dass die Kredite für die Ukraine vom IWF eingefroren wurden. Tymoschenko nutzt nun die IWF-Auflagen und die Zustimmung der heutigen Regierung für ihren Wahlkampf.
Die urbanen Wählerschichten der gebildeten Städter versucht die Opposition vor allem über das Aufdecken der Tätigkeit des Geheimdienstes und von Zensurversuchen zu erreichen. Zudem wird in Reden von Tymoschenko und anderen Parteimitgliedern gezielt Unsicherheit über die Absichten der Regierenden gestreut indem behauptet wird, dass Janukowytsch als nächstes vor hätte sich die Amtszeit verlängern zu lassen und die Parlamentswahlen 2012 auf unbestimmte Zeit verschoben werden sollen. Mitunter entsteht der Eindruck, dass Tymoschenko und ihre ParteigenossInnen der Partei der Regionen beratend dabei zur Seite stehen, wie diese sich die Macht sichern können, nur damit am Ende die Vertreter des Blocks Julia Tymoschenko in ihren Behauptungen bestätigt werden.
Geheimdienst übt über Korruptionsverfahren Druck auf Opposition aus
Die Regierung hingegen versucht ihrerseits die ohnehin schwache Opposition über eine auch als Rachekampagne zu verstehende Verhaftungswelle unter Druck zu setzen. So wurden einige unter der ehemaligen Regierung Tymoschenko auf hohen Positionen sitzende Personen verhaftet und gegen sie Verfahren – vor allem wegen Korruption eingeleitet. Zu ihnen gehören der ehemalige Stellvertreter des Vorstandsvorsitzenden von „Naftohas Ukrajiny“, Ihor Didenko, und der ehemalige Leiter des Zolls, Anatolij Makarenko. Beiden wird vorgeworfen 2009 durch die Beschlagnahmung von Erdgas, welches dem Unternehmen RosUkrEnergo gehörte, dem ukrainischen Staat Schaden zugefügt zu haben. Alle verhafteten Personen führten aber lediglich Anweisungen aus und diese gaben unmittelbar die damalige Premierministerin Julia Tymoschenko und ihre rechte Hand der Erste Vizepremier Olexandr Turtschynow. Da eine Verhaftung Julia Tymoschenkos unmöglich ist und es ihr mehr nützen als schaden würde, wird in der Ukraine nun öffentlich darüber spekuliert, wann Turtschynow, der momentan Vizevorsitzender von Batkiwschtschyna ist, verhaftet wird. Am 8. September 2010 wurde auch er vom Geheimdienst befragt, jedoch vorerst wieder freigelassen. Entweder gibt es nicht genügend belastendes Material für eine Verhaftung, obgleich zeitgleich auch Details zu einigen Korruptionsskandalen zur widerrechtlichen Aneignung von Land in die Öffentlichkeit lanciert wurden, oder man hat das Manöver ob seiner Durchsichtigkeit vorerst verworfen. Dennoch muss sich Turtschynow weiterhin beim Geheimdienst Befragungen stellen, wodurch er natürlich in seiner Arbeit als Wahlkampfleiter behindert wird. Interessantes Nebendetail bei der Verhaftung von Makarenko ist, dass dieser seinen Dienst am 28. Januar 2009 antrat und sein Vorgänger ein gewisser Walerij Choroschkowskyj ist, der heute dem Geheimdienst vorsitzt und also unmittelbar die Verantwortung für diese Verhaftung trägt.
International gesucht wird momentan der ehemalige Wirtschaftsminister unter Julia Tymoschenko, Bohdan Danylyschyn, dem Machenschaften bei der Vergabe eines Bauauftrages für Parkhäuser am internationalen Flughafen Boryspil und Bereicherung beim Einkauf von Benzin für die Armee vorgeworfen werden. Er ist untergetaucht, nach einigen Presseberichten sogar in Deutschland, und wird nach Angaben von Julia Tymoschenko von ihr und ihren Parteigenossen geschützt.
Einerseits soll diese Verhaftungskampagne suggerieren, dass die aktuelle Regierung ernsthaft an der Korruptionsbekämpfung interessiert ist; andererseits ist dies ein eindeutiges Signal an alle ehemaligen und aktuellen Mitstreiter des Blockes Julia Tymoschenko, sich entweder neutral zu verhalten oder die Seite zu wechseln. Wenn man sich die Lage des Blockes Tymoschenko in den Regionen anschaut und auch noch sieht, dass die Regierungskoalition zwischen 10. Juli und 30. August um mindestens sechs Mitglieder angewachsen ist, kann man nur konstatieren: das Signal ist angekommen.
Einschüchterung der Presse und Zivilgesellschaft
Seit Walerij Choroschkowskyj zum neuen Leiter Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) ernannt wurde, begann der Prozess der Umgestaltung des ukrainischen Sicherheitsdienstes. Dabei dient der russische Geheimdienst FSB offensichtlich als Vorbild. SBU wird zunehmend politisch aktiv und versucht „das Land wieder unter Kontrolle zu bringen“. Letztere Redewendung ist auch im Wahlprogramm der Partei der Regionen zu finden. Dabei geht es dem Sicherheitsdienst offensichtlich um Kontrolle über Medien und Presse, aber auch um Informationsbeschaffung über alle Aktivitäten der westlichen Geldgeberorganisationen in der Ukraine und ihrer Hilfeempfänger, im Besonderen ukrainische NGOs.
Die folgenden Ereignisse der letzten Zeit deuten darauf hin, dass der SBU eine Atmosphäre der Einschüchterung forciert: die zeitweilige Verweigerung der Einreise des Büroleiters der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew, dem die Einreise in die Ukraine verweigert wurde, die Prüfungen der Tätigkeit der Renaissance-Foundation (Soros-Stiftung in der Ukraine) und der ukrainischen NGO „Demokratische Allianz“, das spurlose Verschwinden des Charkiwer kritischen Journalisten Wassyl Klimentjew und das Verprügeln des Chersoner Journalisten Dementij Belyj während der Pressekonferenz des Oberbürgermeisters, der psychologische Druck auf die Medienaktivistin Viktoria Sjumar und die Vorladung des bekannten Bloggers Serhij Schynkarenko zum SBU. All diese Fakten deuten daraufhin, dass der Sicherheitsdienst eine schon vergessene Atmosphäre der Einschüchterung und der Angst im Lande wieder einführen möchte, offensichtlich um den politischen Pluralismus einzuschränken.
BJuT könnte im Westen durch rechtsradikale „Swoboda“ verdrängt werden
Bezeichnend für den Zustand der Opposition um Julia Tymoschenko – von „Unsere Ukraine“ und dem ehemaligen Präsidenten Juschtschenko ist, bis auf personelle Umgestaltungen in der Partei, vorerst gar nichts zu hören – ist der Demonstrationsaufruf von Julia Tymoschenko für den ersten Sitzungstag der Werchowna Rada nach der Sommerpause am 7. September 2010. An diesem Tag sollte im Parlament über ein Moratorium für die Gaspreise und für die kommunalen Dienstleistungen abgestimmt werden und diese Abstimmung sollte durch Druck von der Straße begleitet werden.
Unklar ist, ob mehr erwartet wurde, jedoch meldeten westliche Nachrichtenagenturen, die sich wohl auf die russische Interfax-Ukraina stützten, ganze 1.000 Demonstranten. In ukrainischen Medien war von 2.500 Teilnehmer/innen die Rede. In einer englischsprachigen Mitteilung des Blockes Tymoschenko für westliche Journalisten kolportierte der Block immerhin eine Zahl von 10.000 Demonstranten. Verschwiegen wurde dabei aber die Tatsache, dass der Großteil der Demonstranten von der neofaschistischen „Swoboda/Freiheit“ Gruppierung mobilisiert wurde. Julia Tymoschenko war sich dabei auch nicht zu schade gemeinsam mit Oleh Tjahnybok, der noch 2004 vom glorreichen Kampf gegen die „Moskowiter“ und die „Saujuden“ sprach und einer gewissen Iryna Farion aufzutreten, die am Anfang des Jahres in einem Kindergarten alle Kinder mit dem Kosenamen „Mascha“, – da nicht ukrainischen Ursprungs – dorthin schicken wollte, wo die „Maschas“ wohnen. Als purer Akt der Verzweiflung ist daher auch die Blockade der Werchowna Rada nach der gescheiterten Abstimmung zu verstehen.
Besagte Demonstration wurde dann am Nachmittag auch ohne Beteiligung von BJuT fortgesetzt und nach verschiedenen Berichten marschierten bis zu 5.000 „Swoboda“-Anhänger gemeinsam mit Hooligans von Dynamo Kiew und anderen Vereinen für „ukrainischen Fußball in der Ukraine“, die Zulassung von Pyrotechnik in Fußballstadien und gegen eine Vereinigung der Fußballligen Russlands und der Ukraine durch die Innenstadt von Kiew. Parolen waren dabei unter anderem Bildungsminister „Tabatschnyk an den Galgen“, „Ukraine über alles“ und „Neger nach Afrika“.
Die Tatsache ist deswegen hervorzuheben, da der Block Julia Tymoschenko 2009 die vorgezogenen Wahlen im Gebiet Ternopil haushoch verloren hatte und die Vereinigung Swoboda damals mit 34 Prozent die Mehrheit gewann. Zurückzuführen war dies auch auf eine sehr niedrige Wahlbeteiligung von 51 Prozent insgesamt und für die Stadt Ternopil von 20 Prozent, wobei das Gebiet Ternopil zu diesem Zeitpunkt als Hochburg des Blockes Julia Tymoschenko galt: dieser hatte dort bei den Parlamentswahlen 2007 51 Prozent erzielen können. Ähnliches könnte sich also auch in den anderen westlichen Gebieten der Ukraine, wie Lwiw oder Iwano-Frankiwsk wiederholen, wo politische Frustration, aber auch ein geschlossenes nationalistisches Weltbild in vornehmlich ländlich geprägten Gebieten den Ultranationalisten bei den Kommunalwahlen Erfolge bescheren könnten. Ob sich dann das Gerücht von „Swoboda“ als Teil des Konzepts der gelenkten Opposition bestätigt, wird sich erweisen. Jedoch ist dies kein gutes Vorzeichen für die weitere Entwicklung der Ukraine und eine Partei wie „Swoboda“ würde die Spaltung zwischen den Gebieten östlich und westlich des Sbrutsch (ehemalige Grenze zwischen dem russischen Imperium und Österreich-Ungarn/Polen) eher verschärfen als aufheben. Außerdem, was wohl eine größere Tragweite hätte, ist die politische Programmatik von „Swoboda“ nicht nur gegen Russland gerichtet, sondern gegen alles was nicht in ihrem Sinne „ukrainisch“ ist.
Wahlen in den Großstädten nicht ganz unter Kontrolle
Anders sieht die Situation in den städtischeren Regionen des Ostens und des Südens aus. Hier ist kaum daran zu zweifeln, dass in Großstädten wie Donezk, Charkiw, Luhansk, Simferopol, Sewastopol oder Odessa die Vertreter der Partei der Regionen gewinnen werden. Als Alternativen stehen entweder pro-russische nationalistische Formierungen, wie der „Russkij Block“ auf der Krim oder für die gebildeteren Schichten der städtischen Funktionselite die Partei von Serhij Tihipko zur Verfügung, um die Opposition in Form des „Blocks Julia Tymoschenko – Vaterland“ auf Abstand zu halten. Umkämpfter scheint die Situation in Dnipropetrowsk zu sein, wo die Partei der Regionen zwar den amtierenden Bürgermeister vor kurzem in ihren Reihen begrüßen konnte, jedoch ein lokaler Unternehmer, Sahid Krasnow, mit seiner „Hromadjanska Syla/Bürgerkraft“ eigenständig die Macht in der Stadt zu übernehmen gedenkt. In Charkiw tritt mit Hennadij Kernes der momentane geschäftsführende Bürgermeister an, der sich insbesondere bei der Bekämpfung der Proteste gegen die Abholzungen im Gorki-Park unrühmlich hervor getan hat.
Die Strategien zum Machterhalt bzw. zur Machtübernahme sind überall die gleichen und in Kiew, wo diesmal aufgrund der vorgezogenen Bürgermeisterwahlen nicht gewählt wird, zweimal durch den aktuell in den Hintergrund gedrängten Bürgermeister Leonid Tschernowezkyj erfolgreich erprobt worden. Die Kandidaten konzentrieren sich auf die Wähler im Rentenalter. Diese gehen aus Gewohnheit wählen und sind besonders empfänglich für kleine Geschenke und vor allen Dingen Reparaturen im Wohnumfeld. So werden in Charkiw gerade nach den Besuchen des geschäftsführenden Bürgermeisters Sitzbänke und Aufzüge repariert und Hauseingänge in Ordnung gebracht. So lassen sich mit einfachen Mitteln Herzen mancher Wähler auch ohne großartige Manipulationen gewinnen.
Manipulationen werden bei der Wahl eventuell auch eine kleine Rolle spielen, aber keinen Ausschlag geben. Vermutlich wird es besonders engagierten Ortsvorstehern eine Freude sein, nach Kiew „bessere“ Zahlen zu melden, doch insgesamt dürfte eher die Wahlbeteiligung, denn administrative Einmischung für das Ergebnis ausschlaggebend sein. Nach den Enttäuschungen der „Orangen Revolution“ und der zynischen Machtübernahme der Partei der Regionen dürften in großen Teilen des Landes die Wähler nur zögerlich zu den Wahlurnen gehen und diejenigen die gehen, gehören zum großen Teil zum Wählerklientel der Regierungsparteien Partei der Regionen, Block Lytwyn und der Kommunisten. Dazu kommt noch ein gewisses Protestwählerpotential, welches für Überraschungen sorgen könnte.
Insgesamt kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Partei der Regionen ihre Macht mit dieser Wahl festigen wird. Serhij Tihipko wird ebenfalls seine Position stärken können, muss jedoch weiterhin befürchten in jedem Moment als „böser Bube“ ins Abseits gestellt zu werden. Momentan sieht es jedoch nicht mehr nach einer Entlassung vor den Kommunalwahlen aus. Weitere Umgestaltungen im Kabinett sind erst nach den Ergebnissen der Kommunalwahlenzu erwarten, wobei dabei intern Ziele gesetzt werden, die über das weitere Schicksal der Funktionsträger in der Regierung Asarow, dabei insbesondere des Premierministers, entscheiden werden.
Kiew: Keine Bürgermeisterwahl, Stadtbezirksräte sind per Parlamentsbeschluss abgeschafft
In Kiew werden keine Kommunalwahlen Ende Oktober 2010 stattfinden, da die örtliche Selbstverwaltung in Kiew per Parlamentsbeschluss vom 7. September so gut wie abgeschafft wurde: zum tatsächlichen Oberbürgermeister in Kiew wird nun der vom Präsidenten ernannte Gouverneur – und nicht die von Bürgern gewählte Person. Auch die bisher existierenden Stadtbezirksräte wurden als „überflüssig“ liquidiert. Die Bürgermeister- und Stadtratwahl soll erst 2012 stattfinden, denn 2007 wurde der offiziell noch amtierende Leonid Tschernowezkyj bei einer Neuwahl wiedergewählt. Gerüchten nach geht es dabei um eine bewusste Strategie der Partei der Regionen, die in Kiew im Moment keine Chancen und kein passendes Personal hat, sowohl Bürgermeisterwahl als auch Kommunalwahlen in Stadtbezirken souverän zu gewinnen.
Es ist schon im Frühjahr in der Partei der Regionen entschieden worden, den regierenden Oberbürgermeister von Kiew Tschernowezkyj zu entmachten, ohne ihn vom Bürgermeisterposten zu stürzen. Tschernowezkyj hat diesen Deal scheinbar akzeptiert. Er regiert in Kiew nicht mehr und sein „junges Team“ ist auch bereits ausgetauscht, dafür darf er bis 2012 formal im Amt bleiben und wird nicht wegen Korruption angeklagt. Sein Faustpfand dafür ist, dass er durch einen Rücktritt die Partei der Regionen in die Situation der Ausrufung von vorgezogenen Wahlen bringen könnte. Nun gibt es in Kiew den seit Juni amtierenden Stellvertreter des Bürgermeister Popow von der Partei der Regionen (ehemaliger Bürgermeister der Kleinstadt Komsomolsk), der de facto regiert. Seine Aufgabe ist es bis 2012 möglichst viele gute Sachen (vor allem Straßenrenovierung und –bau, Brückenbau, neue U-Bahnstationen) für die Kiewer zu machen, um dann einen noch zu findenden PdR-Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl 2012 in Kiew wählbar zu machen.
Kiew, 27.09.2010
Der Text erschien zuerst auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung.
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