Es ist genau das eingetreten, wovor die Soziologen gewarnt haben. Aus dem Präsidentschaftswettlauf ist Wolodymyr Selenskyi als Gewinner hervorgegangen. Niemand hat geglaubt, dass die Wähler des Komikers dennoch zu den Wahllokalen kommen würden. Das Team von Petro Poroschenko trifft offensichtlich keine Schuld. Sie haben alles Mögliche unternommen, um die unverantwortlichen Jugendlichen davon abzuhalten, sich an den Wahlen zu beteiligen: Sie wurden als Deppen, Kleinrussen, käuflich sowie als Kremlagenten bezeichnet.
Das Leben ist eine komplizierte Sache, sogar, wenn man hundertmal recht hat, gescheit und weitsichtig ist – man kann trotzdem verlieren. Was sagt man in unserer Situation? In dieser liegt kein großes Unglück. Das Problem liegt darin, dass die Mitarbeiter des Stabs und die Technologen anstatt aus eigenen Fehlern zu lernen oder sie zumindest anzuerkennen, alle um sich herum beschuldigen, außer sich selbst. Auf diese Weise kann man nicht nur den Wahlkampf, sondern auch den Krieg (den echten) verlieren. Und wenn man das Niveau der Begeisterung der „Eiferer“ berücksichtigt, sehen die meisten von denen die Möglichkeit eines zivilen Konflikts als alternativlose Zukunft an.
Und die Schlussfolgerungen liegen auf der Hand. Man muss einfach dem Aufruf “Denk nach“ folgen. Denn der Kandidat Petro Poroschenko und sein Team positionieren sich als verantwortungsbewusste Bürger. Es ist logisch daher anzunehmen, dass sie sich verantwortungsvoll verhalten müssen.
In diesem Zusammenhang stellt sich die logische Frage: “aus der Freundschaftsliste entfernen“ und die Unterstützer von Selenskyi beleidigen – ist natürlich eine einfache Sache, aber hilft es, das Ziel zu erreichen? Sie wurden schon Deppen genannt, half das bei der Senkung ihrer Wahlbeteiligung? Unterscheidet sie sich stark von den soziologischen Prognosen? Wurde diese “amorphe Masse“ vom Besuch der Wahllokale abgehalten? Das heißt: man kann vermuten, dass diese Methode nicht sehr hilfreich ist. Aber nein, viel angenehmer ist es, Gegner als den unreifen infantilen Idioten – als Trotzwähler – zu beschimpfen. Und genauso aus Trotz die Chancen des eigenen Favoriten zu senken. Apropos: die Wähler von Selenskyi betrachten sich nicht als Kremlagenten, so dass es nicht stören würde, die Rhetorik ein wenig abwechslungsreicher zu gestalten.
Sowohl „Wessis“, die sich an der Wahl nicht aktiv genug beteiligt haben, als auch die Anhänger der anderen Kandidaten, wie diejenigen, die einfach nicht wählen gegangen sind, zu beschimpfen – (genau die es eigentlich bis zum 21. April zu mobilisieren gilt und nicht diejenigen, die bereits mobilisiert wurden) – ist ebenfalls kein wirklich gutes Zeichen für reife Staatsmänner.
Ich kann auch die Verwunderung bezüglich Odessa und Charkiw nicht verstehen. Haben Sie in der Tat geglaubt, dass Kernes und Truchanow [Poroschenkos] Ergebnis gewährleisten werden? Und dann bezeichnen Sie noch andere als Idioten? Sich im Dickicht der “Fehler der Macht der letzten Jahre“ zu vertiefen, macht keinen Sinn. Die Zeit läuft ab und es ist zu spät, etwas zu verändern. Es ist aktuell keine Zeit der Politiker, sondern der Polittechnologen. Allerdings, habe ich den Eindruck, dass die Leute von Petro Olexijowytsch sich viel mehr Sorgen machen, ihre Gehälter für die letzten drei Wochen zu bekommen als um den Sieg ihres Kandidaten. Sie haben ein warmes Bad einlaufen lassen, entleerten sich dort, doch wer ist Schuld? Die “Wessis“ und die Deppen? Hryzenko? Haben die Agitatoren in den Zelten zu wenig verteilt? Wieder die Schwiegertochter?
Jetzt aber über das wirklich Wichtige.
Das Ausbreiten des “Wir oder der Feind“, “Alles ist verloren“, “jeder Dritte ist ein Kollaborateur“ – das wird nirgendwo verschwinden. Und das Schlimmste ist, dass diejenigen „Meinungsführer“, die Petro Oleksijowytsch zum Ergebnis auf dem Niveau von 16 Prozent geführt haben, die Gesellschaft so polarisierten, so dass jeder Dritte aus Trotz für Selenskyi gestimmt hat, (in Galizien – sogar jeder Fünfte, was Taras Tschornowil den Anlass gab, die eigenen Mitbürger als “käufliche Schweine“ zu bezeichnen), genau diejenigen „Meinungsführer“ werden uns jetzt aus den Schwierigkeiten heraus bringen, in die sie uns selbst gebracht haben. Wunderbar. Man kann mehr oder weniger das Ergebnis prognostizieren. Ich frage noch einmal nach, aber sind wirklich nur die Wähler von Selenskyi inadäquat?
Ich bin persönlich übrigens weder verpflichtet die Wähler von Selenskyi noch die Wähler von Poroschenko zu respektieren. Im Prinzip muss ich niemanden respektieren. Aber ich muss mich an die Regeln halten. Und das nicht nur aus Zwang, denn ich achte die Institute meiner Gesellschaft, ihre Traditionen, letztendlich ist das unser Modus Vivendi. Deshalb werde ich meine Prinzipien nicht opfern und mich jedem Chef anpassen. Denn die Gesellschaft und die Regeln sind wichtiger. Auf denjenigen, welche die Informationspolitik definieren, lastet eine noch größere Verantwortung. Aber sie ignorieren sie und die Traditionen sowie Regeln und allgemein den Modus Vivendi. Weil sie ihren Chef wählen mussten.
Es gibt eine alte Fabel, warum die Ukrainer und Polen sich streiten – über einen Mann und eine Schlange. Ein Mann fütterte jahrelang eine Schlange, sie half etwas im Hof aus. Aber eines Tages biss die Schlange, den Sohn dieses Mannes. Im Ergebnis war der Mann ohne Sohn und die Schlange ohne Schwanz. Viele Jahre später erkannten sie, dass es Zeit war, sich zu versöhnen, aber jedes Mal schaute die Schlange auf die Stelle, wo sich einst der Schwanz befand und der Mann – wo der Sohn war. Daher ist eine Versöhnung unmöglich und wird überhaupt nicht gelingen.
Ich gratuliere allen Unterstützern der Ukraine, die es bereits schafften sich untereinander so sehr zu zerstreiten, dass jeder stolz im Kreise Gleichgesinnter aufscheint, deren Zahl selten den Bereich der statistischen Abweichung übersteigt. Genau dies ist das Hauptergebnis des letzten Jahres. Unsere Gesellschaft ist fragmentiert, schwach, desorientiert und aggressiv. Wir gehen in die Parlamentswahlen so, wie es sich für ukrainische Patrioten gehört – wie Tutsi und Hutu in Ruanda.
Die Rezepte, wie man menschlich bleibt, liegen übrigens auf der Hand. Es muss nichts Neues erfunden werden. Darüber im nächsten Artikel.
3. April 2019 // Nasar Kis
Quelle: Zaxid.net
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