Im April erhielt die Ukraine die nunmehr vierte Tranche des IWF im Rahmen des vierjährigen Kreditprogramms (2015 bis 2019), obwohl Kiew nach der Revision seines Reformprogramms nur fünf von vierzehn Bedingungen zur Durchführung struktureller Veränderungen tatsächlich umgesetzt hat. Nach Ansicht des schwedischen Ökonomen Anders Åslund fiel die Entscheidung des Fonds deshalb so aus, weil „die Ukraine den makroökonomischen Bedingungen nachgekommen [ist], insbesondere hat sie ihren Haushalt konsolidiert. Und das ist das Wichtigste. Es wurde für die Ukraine ein Haushaltsdefizit von 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwartet, es blieb aber bei 2,3 Prozent […] Die Inflation fiel ein wenig niedriger aus, als erforderlich wäre, obwohl das Außenhandelsdefizit etwas höher gewesen ist. Und der Wechselkurs hat sich unter den harten Außenbedingungen stabilisiert.“ Trotzdem hängt die Gewährung dieser Tranche davon ab, ob die Ukraine ihre Verpflichtungen gegenüber dem Fonds erfüllt, oder nicht. Diese Verpflichtungen sind in einem gesonderten, mehrteiligen Memorandum festgehalten. In anderen Artikeln berichteten wir bereits über die Verpflichtungen im Bankenwesen und in der Haushaltspolitik. Nun wollen wir die Verpflichtungen im Energiesektor erläutern. Die harten Fakten werden dabei mit Kommentaren des Autors versehen. Die Analyse des Abschnitts „Politik in der Energiebranche“ bezeugt eine strategische Wichtigkeit der Trends bei Reformen der ukrainischen Energiebranche. Bedauernswert ist dabei nur, dass der Stimulation von Beschleunigungen der Reformen in der Ukraine die Motivation eines Erhalts oder Nichterhalts der nächsten IWF-Tranche zugrundeliegt. Was sollte also mittelfristig in der Energiebranche passieren, damit die nächste Milliarde über den Tisch geht und wer wird dafür zahlen müssen?
Die Regierung der Ukraine bekräftigt im Memorandum, sie würde ihre Bemühungen fortsetzen, Sozialhilfe mehr zielgruppenorientiert zu gestalten, die Haushalte zum Sparen zu bewegen und Ausgaben weiterhin im Rahmen der Haushaltslimits zu tätigen. Konkret bedeutet das eine weitere Herabsetzung der sozialen Normen beim Verbrauch von Energieträgern, bzw. Fernwärme. Dazu kommt eine Abschaffung von Ratenzahlungen für kommunale Dienstleistungen, welche im vergangenen Jahr eingeführt wurde.
Nach europäischen Standards befinden sich die Ukrainer unter der Energiearmutsgrenze. Die Höhe von Zahlungen für kommunale Dienstleistungen kann 30 Prozent des Einkommens einer Familie betragen. Dabei verbrauchen Häuser mit mehreren Wohnungen in der Ukraine durchschnittlich 90 Prozent mehr Energie, als in Europa. Nur in 68,5 Prozent dieser Häuser gibt es technische Vorrichtungen zur Erfassung des Wärmeverbrauchs. Eine Herabsetzung von sozialen Verbrauchsstandards wird daher nicht den erwünschten wirtschaftlichen Effekt bringen können und kann daher kein geeignetes Instrument zum Erreichen von Zielen aus dem vorbenannten Dokument sein.
Der einzige Marktteilnehmer, der von solchen Maßnahmen profitieren kann, ist der Staat. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Preise für Gas im Herbst 2017 vermutlich weiter steigen werden.
Das Memorandum spricht davon, dass zum Halten der Tarife auf einem Niveau, bei dem die Preise den tatsächlichen Kosten entsprechen, die Bedingungen zur Auferlegung besonderer Verpflichtungen gegenüber den Spielern auf dem Erdgasmarkt umgearbeitet würden. Dies geschehe „zur Wahrung öffentlicher Interessen im Funktionieren des Erdgasmarkts“ (Ministerkabinett-Verordnung Nr. 758).
Es wird vorgesehen, einen temporären Mechanismus zur automatischen Anpassung im Halbjahreszyklus von Verkaufspreisen für Gas und Fernwärme einzuführen, wenn die Tarife um 10 Prozent oder mehr von jenen abweichen, die für eine komplette Deckung der Selbstkosten (in Bezug auf die Importpreise) benötigt würden. Der temporäre Anpassungsmechanismus würde so lange aufrechterhalten bleiben, bis die Tarife komplett liberalisiert sind.
Lassen Sie uns diese Amtssprachen-Passage so übersetzen, dass sie für jeden Energieverbraucher verständlich wird.
Nach Angaben des Wirtschaftsentwicklungsministeriums importierte die Ukraine im März 2017 Gas für durchschnittlich 6.700 UAH (ca. 227 €) pro 1.000 Kubikmeter ein. Mitte Februar 2017 kündigte der Kommerzdirektor von Naftogas (der staatliche Erdgaskonzern. A.d.Ü.) Jurij Witrenko an, die Gaspreise nochmals zu erhöhen: „Wird eine staatliche Preisregelung für die Bedürfnisse der Bevölkerung, die sogenannte soziale Verpflichtung nicht verlängert, kann man davon ausgehen, dass die Preise für die Bevölkerung um 40 Prozent steigen werden.“ Er unterstrich weiterhin, dass im Falle einer Weiterführung der staatlichen Regelung der Preisanstieg vielleicht bis Oktober hinausgezögert werden könne. Als Reaktion auf diese „antisoziale“ Äußerung sagte Ministerpräsident Wladimir Grojsman: „Solche Gastariferhöhungen für die Bevölkerung werde ich nicht zulassen. Und wer über einen Preisanstieg von 40 Prozent spricht, muss entweder verantwortungsvoll arbeiten, oder die Kündigung einreichen.“ Doch bereits Anfang März unterzeichnete der Ministerpräsident die Kooperationsvereinbarung mit dem IWF, in der die Regierung sich verpflichtete, die Gaspreise für die Bevölkerung auf das Niveau der kompletten Kostendeckung (in Abhängigkeit von dem Importpreis) zu führen.
Eine weitere Bedingung für die Liberalisierung der Gaspreise ist das Urteil des Schiedsgerichts in Stockholm zum Rechtsstreit zwischen Naftogas und Gazprom. Nach Informationen von Naftogas werden die Großeinkaufspreise auf das für die Bevölkerung bestimmte Erdgas um mindestens 47 Prozent ansteigen, soweit das Schiedsgericht nicht zum 1. Oktober 2017 ein positives Urteil fällt.
Unterm Strich kommt dabei heraus, dass für die Bereitstellung der nächsten IWF-Tranche die Preise auf das für Privatverbraucher bestimmte Erdgas so weit liberalisiert werden müssen, dass sie die Preismarke von 9.000-10.000 UAH (ca. 305 – 339 €) pro [1.000] Kubikmeter erreichen. Dabei werden zwangsläufig auch die Kosten für Fernwärme steigen und auch Festtarife für Gas und Fernwärme eingeführt.
Die Liberalisierung der Gaspreise vom letzten Jahr brachte der Ukraine eine Preiserhöhung auf alle kommunalen Dienstleistungen: Der Strom stieg um das 1,6-fache, Kaltwasser und Gas um 1,42 Mal, Warmwasser um 1,82 Mal und Fernwärme um fast 1,9 Mal. Ein Ergebnis dessen ist, dass die Schulden von Strom- und Fernwärmeerzeugern für Erdgas stabil 30-35 Mrd. UAH (ca. 1 bis 1,2 Milliarden Euro) betragen, während die Verschuldung der Bevölkerung in Bezug auf kommunale Dienstleistungen nach Angaben des Statistischen Amts im Jahr 2016 auf das Doppelte gestiegen ist.
„Die staatliche Subventionierungspolitik von kommunalen Dienstleistungen für ärmere Bevölkerungsschichten ist zu einem ernst zu nehmenden Hindernis auf dem Weg der Entwicklung eines vollwertigen Energieträgermarkts in Lande geworden.“
Die Auszahlung von Subventionen, die laut Memorandum ab September 2017 gestartet wird, soll privaten Erdgashändlern eine Möglichkeit bieten, bei Erdgaslieferungen mit Naftogas zu konkurrieren. Einen konkreten Mechanismus solcher Auszahlungen gibt es nicht, für dessen Entwicklung würden laut Sozialpolitikminister Andrej Rewa drei bis vier Jahre benötigt. Außerdem ist eine zweckmäßige Verwendung ausgezahlter Subventionen nur schwer durch den Staat kontrollierbar.
Die Liberalisierung von Erdgaspreisen wird nicht zur sofortigen Schaffung von Märkten für Erdgas und kommunale Dienstleistungen führen. Die Herstellung zivilisierter Marktbeziehungen ist ein recht komplizierter und langwieriger Prozess. Eingriffe in ein so wichtiges Marktinstrument, wie der Gaspreis, insbesondere bei den Gegebenheiten in der heutigen Ukraine, destabilisiert den Reformprozess und schafft Bedingungen zu seiner Verlangsamung. Doch auch das Belassen der Situation im aktuellen Zustand ist nicht zulässig. Das Memorandum ist eine Widerspiegelung der ukrainischen Probleme in der Wirtschaft. Und ein Spiegel kann nicht für die Tatsache verantwortlich gemacht werden.
21. April 2017 // Walerij Schtscherbina
Quelle: Lewyj Bereg
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