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Der „Ost – West“-Konflikt als politische Komfortzone – oder: die Eigenen „drangsalieren“, damit Fremde sich fürchten

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"Ost-West-"-Konflikt

Zu einem bezeichnenden Ereignis der letzten Zeit wurde die unangenehme Situation mit der Buchhandlung „Je“. Die Ladenkette – ich erinnere daran – erklärte, dass ab jetzt in ihren Regalen auch russische Bücher stehen werden. Dadurch enttäuschte sie viele und (was bereits traditionell im ukrainischen Facebook-Segment geworden ist) löste damit eine nicht schlechte Welle des Hasses aus. Streng genommen geht die Welle schon zurück, wenn auch von einem Boykott gesprochen wird. Denn mit Boykotten klappt es bei uns nicht schon seit den Zeiten, als Rodyna kowbaska [ukrainische Fleischerkette, A. d. Ü.] und Epizentr [ukrainische Elektro- und Baumarktkette, A. d. Ü.] noch fest mit dem damaligen Regime unter Präsident Janukowytsch assoziiert wurden.

Ein anderer wichtiger Moment sind die soziologischen Erhebungen zu den Kommunalwahlen. Die nach allen Prognosen schließlich zur Freude der Patrioten des Westens und der starken Wirtschaftler des Ostens den „grünen Nebel“ zerstreuen und die Ukraine in ihren gewohnten Zustand zurückversetzen wird. Den Zustand der Teilung in Osten und Westen. Die Frage ist nur, wo jetzt die vorbehaltliche Grenze zwischen den „Orangenen“ und den „Weiß-Blauen“ verlaufen wird. Ich würde gerne glauben, dass sie östlicher als beim letzten Mal sein wird. Doch ebendiesen Fakt der Teilung hebt das nicht auf.

Was haben diese beiden Phänomene gemeinsam? Hier ist es notwendig, zu verstehen.

Wir haben also ein bedingt (ein ideelles oder imaginäres) ukrainisches Projekt. Unser Projekt, unsere Vision der zukünftigen Ukraine, konkurriert mit sowjetischen und russischen nationalen Projekten. Dies ist ganz grob, ohne ins Detail zu gehen. Und ganz zu schweigen davon, dass diese Vision noch verschwommener und amorpher als das Bild von Holoboroko [Von Präsident Selenskyj vor den Wahlen gespielter Fernsehpräsident. A.d.R.] vor den Präsidentschaftswahlen, in denen „jeder Iwan seinen Plan sah“ [Anspielung auf ein Sprichwort, A. d. Ü.], ist.

Diese unsere Vision konkurriert im Wesentlichen theoretisch. Denn in der Praxis (und die Geschichte mit der Buchhandlung „Je“ illustriert dies gerade) grenzt sie sich eher von den Konkurrenten ab – von allen russischen und sowjetischen. Einerseits ist es logisch und natürlich sowie psychologisch komfortabel (zumindest für mich persönlich). Aber andererseits ist es ein Weg ins Nirgendwo, wenn wir diesen Konkurrenzkampf gewinnen wollen. Doch was bedeutet „gewinnen“?

„Gewinnen“ heißt, die Unterstützung jenes vorbehaltlichen „Sumpfes“ zu bekommen, für den es „keinen Unterschied macht“ [Anspielung auf die Neujahrsansprache Selenskyjs in der er zur Einigkeit der Ukrainer unabhängig von ihren politischen Ansichten aufrief, die aber bei den „Patrioten“ auf harsche Ablehnung stieß, A.d.R.] (um niemanden zu beleidigen, werde ich jetzt ein Analog zum französischen Nationalkonvent ziehen). Doch das bedeutet, dass es noch notwendig sein wird, mit russischen und sowjetischen Projekten auf einem Feld zu sitzen. Das heißt, in ebendiese Buchhandlung „Je“ zu gehen und ein ukrainisches Buch zu kaufen. Aber kein russisches zu kaufen. Denn wenn keine ukrainischen Bücher in der Buchhandlung „Je“ gekauft werden, dann werden sie bald damit aufhören, diese zu bestellen. Und die ganze Infrastruktur dieser Kette wird wohl oder übel anfangen, für den Feind zu arbeiten. So ist es, wenn man emotionslos oder zumindest wie ein erwachsener Mensch darüber nachdenkt.

An Emotionen und das Erwachsensein lohnt es sich übrigens auch zu erinnern, wenn wir über die kommenden Kommunalwahlen sprechen. Schließlich geht es hierbei auch um unser – amorphes –, aber unser ukrainisches Projekt. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die Diener des Volkes [„Sluha narodu“, Parteiprojekt von Präsident Selenskyj, A. d. Ü.) ihren vorherigen Trick wiederholen. Und das bedeutet, dass die Gebietsräte zum Ersatz der Werchowna Rada [ukrainisches Parlament] werden, wo die einen sich um einen atlantischen Kurs kümmern und die anderen sich unter die NATO-Panzer legen werden. Höchstwahrscheinlich wird dies das Tempo der Privatisierung kommunalen Eigentums nicht beeinflussen, aber den Fernsehen zu schauen, wird interessanter sein. Und auch die Hauptteilnehmer dieses Dramas werden so vertrauter und angenehmer.

Der psychologische Komfort und die Emotionen geben einem proukrainischen Projekt keine Chance, sich einen beträchtlichen Teil der Diener des Volkes in der Werchowna Rada loyal zu machen. Die Mehrheit von ihnen sind objektiv betrachtet typische [korrupte] „Entscheider“, die der soziale Lift an die Spitze der Ernährungspyramide beförderte. In Wahrheit gab es solche Charaktere schon immer. Doch sie brauchten stets eine Flagge, um der Wählerschaft den Sinn ihrer Existenz irgendwie zu erklären. Ob es unter ihnen auch böswillige Agenten gab? Gewiss. Aber „die Watte“ [Von der russischen Opposition entlehnte, abfällige Bezeichnung für zumeist russischsprachige Ukrainer, die für Kompromisse mit Russland eintreten, Stand ursprünglich für Anhänger Wladimir Putins, sogenannte Wattejackenträger, die sich nach dem Gulag sehnen. A.d.R.] unter den „Dienern“ konnte sich stets die Unterstützung der prorussischen Kräfte der Oppositionsplattform „Sa schyttja“ [„Für das Leben“ – prorussische politische Partei, welche die größte Oppositionsfraktion in der Werchowna Rada stellt, A. d. Ü.] holen. Sie konnten, einfacher gesagt, wohin gehen. Die proukrainischen Abgeordneten von Diener des Volkes konnten nirgendwohin gehen, für die Oppositionsplattform „Sa schyttja sind sie Ukrainer, für die „Patrioten“ sind sie „Verräter“. Ich verwende hier den Begriff proukrainisch nicht umsonst. Denn Korrumpierte und „Entscheider“ können auch proukrainisch sein. In diesem Schema ist das ukrainische Projekt zu 100 Prozent abgeschlossen.

Nichtsdestotrotz ist das praktisch schon Geschichte. Wir stehen an der Schwelle eines neuen Verses der langen Kolomyjka [traditioneller Tanz der Huzulen, A. d. Ü.] über „Osten und Westen gemeinsam“, „man muss das Land zusammenflicken“ und das ist alles. Und es wäre an der Zeit, irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen.

Zum Beispiel, dass das ukrainische Projekt bei weitem nicht ideale Charaktere einschließen kann. Um deren Engagement wir noch ringen müssen. Wenn man begreift, dass den russischen Verlag Moskau sponsert, muss man in die Buchhandlung gehen und ein ukrainisches Buch kaufen. Und das russische nicht kaufen.

Man muss auf YouTube ukrainischen Content anschauen – und den des Feindes nicht anschauen. Übrigens fordert aus irgendeinem Grund niemand, YouTube zu boykottieren, obwohl es dort so viel Russisch gibt, dass es in keiner Buchhandlung „Je“ Platz finden würde. Vielleicht ist das das bittere ukrainische Schicksal – die Eigenen zu „drangsalieren“, damit sich die Fremden fürchten. [Anspielung auf die russische Redewendung: „Schlag die Eigenen, damit Fremde sich fürchten“, A.d.R.]

21. September 2020 // Nasar Kis

Quelle: Zaxid.net

Übersetzerin:   Agnes Poitschek — Wörter: 996

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