In den trostlosen 1970er Jahren, als viele von denen, die sich heute als Bewahrer patriotischer Werte sehen, Karriere in der Kommunistischen Partei, im Komsomol und in der sowjetischen Armee gemacht haben, saß Pjotr Grigorjewitsch Grigorenko seine zweite „Behandlung“ in einem psychiatrischen Krankenhaus des Innenministeriums der UdSSR ab. Ja, so lief das: Die sowjetische Regierung befand Grigorenko als psychisch krank und entzog dem Generalmajor gleichzeitig all seine militärischen Orden.
So wurde aus Pjotr Grigorenko im hohen Alter ein gewöhnlicher Soldat. Aufgrund des Drucks, den die Westmächte in der 1970er Jahren auf die UdSSR ausübten (laut UdSSR hat’s solch einen Druck natürlich nie gegeben), sah sich die Sowjetregierung dazu gezwungen, Grigorenko aus dem Krankenhaus zu entlassen und im Anschluss daran aus der UdSSR zu verweisen.
Nach seiner Ankunft in den USA erfuhr der gewöhnliche Soldat Grigorenko, dass man ihm seine sowjetische Staatsbürgerschaft aberkannt hatte. Als romantischer Idiot, der ich doch bin, habe ich mir mit dem Geld meiner Eltern nicht nur dicke Pakete mit Literaturheften in den Knast schicken lassen, sondern auch völlig sinnlos „Dokumente des Obersten Sowjets der UdSSR“ gesammelt. Hier fand ich eines Tages den Erlass zur Ausbürgerung Grigorenkos.
Den Rest erfuhr ich später, dann schon zu Zeiten Gorbatschows. Pjotr Grigorjewitsch, der sich nun in den USA befand, dessen Rückkehr in die UdSSR ausgeschlossen war und den die UdSSR zuvor gleich zwei Mal für psychisch krank erklärte, wandte sich mit einem schriftlichen Antrag an die Leitung der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung, in dem er um ein psychologisches Gutachten seiner Person bat. Die Leitung war damit einverstanden, stellte jedoch eine Bedingung: Grigorenko müsse vor dem Gutachten sein schriftliches Einverständnis dafür geben, dass er das Ergebnis akzeptiere, egal wie es ausfällt und dass das Ergebnis an die Öffentlichkeit gehen würde.
Die Untersuchung dauerte mehrere Stunden, die Fragen der Ärzte und die Antworten des Probanden wurden auf einer Videokamera festgehalten. 1989 hatte ich die Möglichkeit, mir die Aufnahmen im Washingtoner Büro der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung anzusehen.
Auch heute, im Jahr 2012, sind die Aufzeichnungen frei zugänglich, aber in der unabhängigen, demokratischen Ukraine haben sowohl das Gesundheitsministerium als auch Medizinhochschulen nie um eine Kopie des Bandes gebeten. Uns Unabhängigen reicht es aus, dass Grigorenko ein ethnischer Ukrainer war. Mehr brauchen unsere Studenten der Geschichte oder Medizin nicht über ihn zu wissen – wahrscheinlich weil die objektiven und angesehenen amerikanischen Psychiater eben keine Anzeichen einer psychischen Erkrankung bei Grigorenko gefunden haben. Unsere alten Professoren sind stattdessen immer noch davon überzeugt, dass die sowjetische Schule der Psychiatrie die einzig richtige ist.
So war das. Heute gehören wir Ukrainer dem Klub der demokratischen Staaten an. Jedenfalls streben wir ihn an. Aber in einer Demokratie, mit all ihren Nachteilen, ist Rechtsstaatlichkeit vorgesehen. Ich hoffe, dass mich meine Leser an dieser Stelle nicht falsch verstehen und als Anhänger Julia Wladimirowna Timoschenkos ausmachen. Will ich doch nicht von ihr und ihren politischen und administrativen Erfolgen wie Misserfolgen sprechen, sondern ausschließlich von ihrer Situation als Kranke.
Der schaumartige Lärm, der von den Journalisten über ihre Person veranstaltet wird, ist widerwärtig. All die täglich veröffentlichten „Nachrichten“ und „Kommentare“ basieren auf nicht sichergestellten Fakten. Die ganze Geschichte demonstriert die völlige Ignoranz von Gesetzen.
Während früher VIPs und ihre schlecht erzogenen Kinder demonstrativ ihre administrativen und prozessualen Unannehmlichkeiten zurückgelassen haben, um sich in Tageskliniken behandeln zu lassen – wo Ärzte ja anscheint das Exklusivrecht besitzen, ungestraft zu lügen und irgendwelche Diagnosen zu stellen, die vom Patienten bezahlt werden –, hat unsere „ukrainische Rechtsstaatlichkeit“ hier ungeahnte Höhen erklommen.
Ausländische Ärzte kamen nicht als Touristen ins Land und laut ukrainischem Gesetzt besaßen sie nicht das Recht, hier zu praktizieren. Ich verstehe schon – das klingt etwas ulkig, wenn man das professionelle Wissen und Können der zahlreichen einheimischen korrespondierenden Mitglieder, der zertifizierten Ärzte und anderen offiziell Diplomierten mit bedenkt.
In Wirklichkeit ist das alles überhaupt nicht lustig. In Wirklichkeit illustriert es, wie selektiv Gesetze angewandt werden – und wie unsere so aufmerksame Staatsanwaltschaft in aller Ruhe Gesetzesverstöße ignoriert.
Heute ist Julia Timoschenko keine Politikerin, sondern eine Verurteilte. Und wie jeder Mensch – ob nun im Gefängnis oder in der Freiheit –, hat sie das Recht darauf, die Einzelheiten ihrer Krankheit der Öffentlichkeit (ob nun den Politikern, oder in aller erster Linie den Journalisten) nicht preisgeben zu müssen. Über gewisse Informationen zu schweigen – dieses Recht gilt auch für die verurteilte Timoschenko.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Hat Julia Wladimirowna im Gesundheitsministerium oder in der Strafvollzugsanstalt je ein Schreiben eingereicht, in dem sie einer Untersuchung durch ausländische Ärzte zustimmt – in welchem Umfang auch immer –, oder in dem steht, dass die Ergebnisse der Untersuchung der ukrainischen und internationalen Presse zur Verfügung gestellt werden? Wenn es dieses Dokument gibt – warum wurde es noch nicht veröffentlicht?
Alle anderen Fragen, ob an Julia Wladimirowna, an ihre Anwälte oder an die politische Führung des Landes, sind zweitrangig. Wenn es solch ein Dokument, in dem einer Untersuchung zugestimmt wird und die Öffentlichkeit über das Ergebnis informiert werden darf, nicht gibt, dann müssen wir, alle gemeinsam, eines begreifen – dass wir in einem klassisch-rechtlosen Staat leben. Dies zeigt sich auch in folgendem Beispiel: In der Ukraine gibt es etwa 160.000 Inhaftierte, einige von ihnen benötigen dringend medizinische Hilfe, die ihnen von der gefängniseigenen Sanitätsabteilung jedoch versagt bleibt, wie auch von den regionalen Häftlingskrankenhäusern oder den Kreiskrankenhäusern des Gesundheitsministeriums.
Ja – das ist die Wahrheit. Ich weiß, es in eine bittere. Aber so ist es: Sowohl im Gefängnis als auch in der Freiheit bleibt uns eine qualifizierte medizinische Versorgung verwehrt.
Diese ganze Geschichte ist voll von Unausgesprochenem, voller Lügen und wilder Fantasien. Leider sind in diesem Chaos nun neue Teilnehmer aufgetaucht – ausländische Ärzte. All dies wird enden, wie es enden muss: Die Popularität der von der Regierung verfolgten Julia Timoschenko wird wachsen. Vielleicht wird sie ja unsere nächste Präsidentin – wer weiß das schon.
Eine Menge Intrigen, viel Dreck und allerhand Lügen – unser ukrainisches Politikwesen ist dadurch geprägt. Aber wer mir wirklich leid tut, ist der leitende Arzt der gefängniseigenen Sanitätsabteilung – zurzeit muss er nur einen Häftling untersuchen – einen von 160.000.
1. März 2012 // Semjon Glusman, Arzt und Mitglied des Kollegiums des Staatlichen Medizinischen Dienstes im Justizvollzug der Ukraine
Quelle: Lewyj Bereg
Forumsdiskussionen
Naru in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Ich bin im März das erste mal in die Ukraine ein- und ausgereist über Korczowa - Krakowez. Ich hatte es mir wesentlich schlimmer vorgestellt. Ein- und Ausreise hat wahrscheinlich irgendwas zwischen 1-2h...“
lev in Berichte und Reisetipps • Re: In Lviv leben
„Wir wollen ja perspektivisch weiterhin in Lviv unseren Lebensabend verbringen. Wohnung haben wir komplett saniert und finanziell ist auch alles ok für diesen Schritt. Die Kriegs Situation, lässt diesen...“
lev in Berichte und Reisetipps • Re: Straßenverkehr, Straßenzustand, Verkehrsregeln, Verkehrskontrollen in der Ukraine
„Reicht dafür, dass auch in Polen übliche Tagfahrlicht ?“
lev in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Sind seit Kriegsbeginn, nur noch mit dem Bus nach Lwiw gefahren. Sehr stressig an der Grenze, da bis zu 14 h bei der Ausreise. Jetzt wollen wir wieder mit unserem Wohnmobil fahren, da es wohl keine Grenzblockaden...“
Bernd D-UA in Politik • Re: Kann sich die EU die neue Osterweiterung leisten?
„Minimax, jetzt schon zum Geopolitilogen aufgestiegen? Na, na, na diesen Höhenflug hatte ich Dir nicht zugetraut. Egal wie es ausgeht, die EU und die Menschen in der Ukraine werden das wieder aufbauen...“
Bernd D-UA in Politik • Re: Putin und der Reiz des Bösen: Er erweist sich als Stratege und hat militärisch Erfolg
„Familienplanung, echt jetzt, dafür war minimax noch nicht bekannt! Aber beleidigen tun wir bite nicht! Es gehen wohl die Argumente aus?“
Minimax in Politik • Re: Kann sich die EU die neue Osterweiterung leisten?
„Was soll man von jemanden halten, der in der Geopolitik von Gutmenschen schwafelt @Handrij du hattest doch schon mehrmals versucht die Schwachmaten ein wenig aufzuklären, naja, fruchtet ja eh nicht.“
Minimax in Politik • Re: Putin und der Reiz des Bösen: Er erweist sich als Stratege und hat militärisch Erfolg
„Vollidioten, macht euch lieber um D Gedanken, hier ist die Problematik noch schlimmer.“
Bernd D-UA in Politik • Re: Putin und der Reiz des Bösen: Er erweist sich als Stratege und hat militärisch Erfolg
„Vielleicht liegt es einfach nur daran, wer will schon seine Kinder mit so einer verstrahlten Russin Zeugen, in einem Land, wo die " Staatenlenker" Dich sowieso die ganze Zeit ins Knie ficken. Macht keinen...“
Bernd D-UA in Politik • Re: Kann sich die EU die neue Osterweiterung leisten?
„Die Russen schießen sich ins eigene Knie, wenn sie das wieder aufbauen wollen, im Grunde eine lächerliche Aussage. Dort wohnen doch die Nazis, richtig? Besser die ziehen weg und die paar Alten sterben....“
Frank in Politik • Re: Putin und der Reiz des Bösen: Er erweist sich als Stratege und hat militärisch Erfolg
„... Putin propagiert und versucht seit Jahren auch einiges, um die Geburtenzahl zu steigern.... Als Spermaspender ... echt? In dem Alter? naja bei dem ist ja sonst auch nix mehr original. Modernes Monster...“
Minimax in Politik • Re: Kann sich die EU die neue Osterweiterung leisten?
„Sicher wird sich Russland den Aufbau leisten müssen, sonst würden sie um diese Gebiete inkl. Menschen nicht kämpfen. Zur Not ist verbrannte Erde immernoch besser, als einen feindlichen Nazistaat als...“
Minimax in Politik • Re: Putin und der Reiz des Bösen: Er erweist sich als Stratege und hat militärisch Erfolg
„Schreibe einfach weniger langweiligen Unsinn. Man bemüht sich zumindest, Konsumgesellschafzen zu höheren Geburtenzahlen umzupen ist nun mal nicht einfach.“
Bernd D-UA in Politik • Re: Kann sich die EU die neue Osterweiterung leisten?
„Warten wir mal ab! Auch minimax sollte das Fell des russischen Bären nicht zu früh teilen. Thema: Die Osterweiterung der EU kann sich die EU leisten! Kann sich Russland die Ukraine leisten?“
Bernd D-UA in Politik • Re: Putin und der Reiz des Bösen: Er erweist sich als Stratege und hat militärisch Erfolg
„@minimax ich habe auch schon gehört das Putin fremdgeht mit irgend so einer Russin, man hört er bemüht sich redlich sein minderwertiges Erbgut weiterzugeben. Minderwertige Gene, darum wächst die Bevölkerung...“
Minimax in Politik • Re: Kann sich die EU die neue Osterweiterung leisten?
„Bezüglich der Ukraine sind das ähnlich absurde Überlegungen und Diskussionen wie allgemein zum Wiederaufbau. Warten wir mal das Ende des Krieges ab, was von der Ukraine übrig bleibt oder ob sie als...“
esnowo in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Meine Frau und ich sind am Donnerstag,den 2.5. über Bodumiers mit dem Wohnmobil eingereist 30 Minuten“
Bernd D-UA in Politik • Re: Kann sich die EU die neue Osterweiterung leisten?
„Grundsätzlich wird der Wiederaufbau eine ganze Menge Kosten für die EU verursachen, Garantien sind schon gegeben worden, da wäre die EU Mitgliedschaft im Grunde hilfreich, die Gelder im Sinne der EU...“
Minimax in Politik • Re: Putin und der Reiz des Bösen: Er erweist sich als Stratege und hat militärisch Erfolg
„Putin sind die Verluste nicht egal, im Gegensatz zu manchen Idioten die sich Generäle nennen dürfen. Putin propagiert und versucht seit Jahren auch einiges, um die Geburtenzahl zu steigern. Auf der ukrainischen...“
Frank in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Bekannte sind am Montag über Korczowa - Krakowez eingereist 20 Minuten mit Kleinbus“
Obm100 in Hilfe und Rat • Re: 2 Ukrainische Freundinen möchte nach Mariupol um Ansprüche zu machen…
„Ich denke doch, dass man aus Deutschland nicht ausgewiesen wird, wenn man nachweislich keine Wohnung mehr hat im unbesetzten Gebiet.“
Obm100 in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Mittlerweile kann man wieder über Polen fahren. War Anfang April samstags über Budomierz ausgereist und in 15 Minuten morgens um 7.30 Uhr über beide Grenzkontrollen. Zurück Ende April donnerstags wieder...“
Obm100 in Politik • Re: Putin und der Reiz des Bösen: Er erweist sich als Stratege und hat militärisch Erfolg
„Wieso Putin? Was macht er denn genau? Ich denke das sind seine Soldaten, die etwas dazu gelernt haben. Putin ist es doch völlig egal wieviel drauf gehen bei dem Krieg, Hauptsache gewonnen. Die Masse macht...“
Bernd D-UA in Hilfe und Rat • Re: 2 Ukrainische Freundinen möchte nach Mariupol um Ansprüche zu machen…
„Wenn die Wohnungen zerbombt sind, dann gibt es doch eh keine Wohnung mehr und bei Ausreise aus D sind sie sowieso Obdachlos, da ja keine Wohnung. Das Geld für die Kompensation muss in D beim Jobcenter...“
tenne in Hilfe und Rat • Re: Fahrzeuge mit Autogas in der Ukraine
„Super, danke für die schnelle Antwort und die vielen Links!“
tenne in Hilfe und Rat • Fahrzeuge mit Autogas in der Ukraine
„Привіт усім, ich habe in der Ukraine viele Ladas gesehen, die auf Gas umgebaut waren. Kann ich auch mit einem deutschen Auto, das mit LPG (Autogas) betrieben wird, problemlos in der Ukraine unterwegs...“
Haertig in Hilfe und Rat • Re: 2 Ukrainische Freundinen möchte nach Mariupol um Ansprüche zu machen…
„Du hast mich sehr geholfen. Vielen Dank“
Haertig in Hilfe und Rat • Re: 2 Ukrainische Freundinen möchte nach Mariupol um Ansprüche zu machen…
„Vielen Dank für dein Antwort. Dennoch gefällt mir das nicht wenn ich bedenke das Die nach Mariupol wollen. Werden die bei der Einreise eine Lügendetektor unterzogen? Kann ich denen nicht einfach ein...“
Haertig in Hilfe und Rat • 2 Ukrainische Freundinen möchte nach Mariupol um Ansprüche zu machen…
„Hi. Zwei Ukrainische Freundinen (Mutter, Tochter) musste aus Mariupol nach Deutschland flüchten. Hatte Eigentumswohnung und Bankkonto. Jetzt wollen die für ca. 3 Wochen über Moskau nach Mariupol um...“
Frank in Wirtschaft • Re: Amerikanische Tesla-Wracks kriegen in der Ukraine ein zweites Leben
„Wundert mich dass ein beschädigtes E-Auto überhaupt über den Deich transportiert wird.“