Bereits die zweite Woche findet im Zentrum Kyjiws der Kongress einer christlichen Organisation statt – dem geistlichen Zentrum „Wiedergeburt“. Deren Adepten in den gelben und blauen T-Shirts sind so zahlreich, dass man ihnen mittlerweile in jedem beliebigen Winkel der Stadt begegnen kann. Sie rufen die Bürger zu gemeinsamen Gebeten auf, im Austausch für „die Heilung von Krankheiten und für ewiges Leben“. Die Gebühren für die Miete des Sportpalastes, in dem die Gottesdienste stattfinden, geht täglich in die Hunderttausende. Laut unseren Informationen kosten allein drei Stunden ungefähr 300.000 Hrywnja (ca. 10.000 Euro). „Sie können sich nicht vorstellen, wie hoch dort die Summen der Spenden ausfallen können. Einer unserer Bekannten war dort, ein junger Mann, Programmierer. Tausend Dollar hat er dort gelassen, und ihm wurde noch gesagt, dass er beim nächsten Mal mehr geben soll“, erzählen Freunde des 27jährigen Sergej.
Der Gründer von „Wiedergeburt“, Wladimir Muntjan, stammt aus Dnipro und wurde früher bereits wegen Betrugs und Diebstahls verurteilt. Im Netz tauchte gestern ein Video des Kongresses auf, in dem Sergej Gussowskij zu sehen ist, Abgeordneter der Kyjiwer Rada, aber auch die Vizepräsidentin der Werchowna Rada Oksana Syrojed. Gussowskij erklärte gegenüber „Westi“, dass er kein Anhänger von „Wiedergeburt“ sei. „Mich verbindet nichts mit dem Zentrum. Aber ich möchte unterstreichen, dass es sich hierbei nicht um eine Sekte handelt, sondern um eine protestantische Kirche. Als Politiker halte ich es für notwendig, die Versammlungen verschiedener Konfessionen zu besuchen. Das Video wurde bereits im Mai aufgenommen, als Oksana Syrojed und ich dorthin eingeladen worden sind.“ Syrojed erklärte ihre Anwesenheit auf dem Kongress damit, dass sie „jede Möglichkeit nutzt, um den Leuten die Gefahr von freien Wahlen in den okkupierten Territorien zu erläutern“.
Die Kosten für eine Teilnahme am Kongress belaufen sich auf 100 Dollar nach derzeitigem Kurs. Eine Anmeldung ist allerdings schon nicht mehr möglich, Plätze soll es keine mehr geben. Es ist offensichtlich: bei dem geistigen Zentrum handelt es sich um ein einträgliches Geschäft, wenn man bedenkt, dass ungefähr 11.000 Menschen zum Kongress angereist sind. Jedoch, so versichern Experten, bilden die Spenden und Geschenke lediglich die sichtbare Spitze des Eisberges. Tatsächlich verdienen derartige religiöse Gemeinschaften mit völlig anderen Dingen Geld.
„Eine Wohnung pro Tag“
„Jeder Pastor hat ein Minimal- und ein Maximalprogramm. Bei einer Gemeinschaft aus etwa 100 Personen kassiert er einmal pro Woche 10.000 bis 15.000 Hrywnja [ca. 360 bis 540 Euro], also 50.000 pro Monat [ca. 1.800 Euro]. Das ist das Minimalprogramm. Das Maximalprogramm aber – das ist an einem Tag Besitzer einer Zwei- oder Dreizimmerwohnung irgendwo in Kyjiw oder Charkiw zu werden. Jeder stirbt ja früher oder später, und beinahe alle religiösen Ausführungen solcher Organisationen sind so angelegt, dass der Pastor einem Gott gleich erscheint. Da überbringen ihm die Leute auch gerne Schenkungen und Spenden“, erklärt der Anwalt Iwan Liberman, der sich sein 10 Jahren mit religiösen Angelegenheiten beschäftigt.
In Horodyschtsche in der Oblast Tscherkassy beispielsweise verdächtigten die Angehörigen der kirchlichen Gemeinschaft „Blagaja West‘“ [Frohe Botschaft] den Pastor des Betruges. Er sammelte Geld für das Grundstück des zukünftigen Gebetshauses, ließ es beim Kauf aber auf seinen Namen überschreiben. In Charkiw gab es einen Skandal um einige Vertreter der karäischen Gemeinde, die ein ganzes Gebäude unter dem Anschein einer Schenkung auf sich haben übertragen lassen. Durch eine Expertise wurde festgestellt, dass der minimale Preis eines solchen Hauses ungefähr 2 Millionen Hrywnja [ca. 72.000 Euro] beträgt.
„Ich weiß von dem Fall eines Priesters“, berichtet Liberman, „der sich mit Spenden den Bau eines zweistöckigen Eigenheims finanziert hat. Dabei hat er es nicht auf die von ihm gegründete Organisation registriert, sondern auf zwei seiner Söhne. Damit aber die Angehörigen seiner Gemeinde keinen Verdacht schöpften, hat er an einer der Wände des Hauses den Namen seiner Kirche geschrieben. Der Pastor selbst hat uns gegenüber versichert, dass man ihm von dieser Vorgehensweise in Deutschland erzählt hat. Vor dem Gesetz ist er sauber, da alles auf seine Verwandten registriert ist.“
Es kommt sogar so weit, dass Angehörige einer religiösen Organisation Kredite nehmen, um dem Pastor „zu helfen“. In Kaniw in der Oblast Tscherkassy beschuldigte man den Pastor der Kirche „Blagaja Westi“ darin, dass er eines seiner Gemeindemitglieder, manipuliert und sie gebeten hat, sie möge in einer Bank aus der Hauptstadt einen Kredit aufnehmen. Die Dame nahm unter Verpfändung ihres Hauses und Grundstückes einen Kredit von 134.000 Dollar. Als sie dann begriff, dass niemand eine Kirche bauen wird, hat sie sich an das Gericht gewandt. Der Priester bekam sechs Jahre Gefängnis, seine Schuld hat er jedoch nicht eingestanden.
Handel mit humanitär gespendeten Sachen
Nicht weniger umfangreich sind die Machenschaften mit humanitärer Hilfe. Polizeilich werden bereits eine ganze Reihe solcher Fälle untersucht. Einer davon in der Oblast Winnyzja, wo aus den USA 15 Tonnen an Kleidung eingetroffen sind. Die Angehörigen der Gemeinde „Мiloserdnyj samarjanin“ [Barmherziger Samariter], für die die Spenden bestimmt gewesen sind, haben diese niemals zu Gesicht bekommen. In Luzk verdächtigt die Polizei gleich mehrere Organisationen des Verkaufs humanitär gespendeter Sachen. Darunter: „Zarstwo Bosche“ [Königreich Gottes], die Wolhynische Stiftung „Miloserdie“ [Barmherzigeit], die „Nesawisimaja Christowaja Zerkow“ [Unabhängige Kirche Christi], die wolhynische wohltätige Stiftung „Pletscho“ [Schulter], die Bruderschaft des ukrainischen Kirchenkonzils der Christen evangelischen Glaubens „Otkrytaja Biblija“ [Offene Bibel] und die wolhynische wohltätige Stfitung „Chanun“.
„Meines Wissens nach gibt es in einem der EU-Mitgliedsländer im östlichen Europa ein Zentrum, wohin alle diese Sachen gelangen. Es handelt sich tatsächlich um wohltätig gespendete, aus Ländern mit gutem Lebensstandard. Von dort werden diese Sachen in die ganze Welt transportiert, unter anderem nach Asien. Bei uns werden sie auf Lager in verschiedenen Regionen des Landes verteilt, dort sortiert und je nach Qualität und Marke gelangen sie dann weiter in teure Boutiquen, Geschäfte oder Secondhand-Läden“, erzählte uns ein ehemaliger Priester.
Bescheinigung eines Priesters für 5000 Dollar
Die Gründer von religiösen Organisationen erhalten entsprechende Bescheinigungen. Aufgrund der Anti-Terror-Operation ist die Nachfrage nach solchen Bescheinigungen ziemlich hoch, da dieser „Schein“ davon befreit kämpfen zu müssen (nicht zu verwechseln mit der Einberufung in die ukrainische Armee, hier wird gläubigen Wehrpflichtigen ein alternativer Dienst im Krankenhaus oder als Hausmeister angeboten). „Es gibt Fälle“, so Liberman, „dass Leute bereit sind bis zu 5000 Dollar für solche Bescheinigungen zu zahlen. Wenn sie ihren Einberufungsbefehl erhalten, schicken sie zur Antwort eine Kopie dieses Dokuments und werden aus der Liste gestrichen.“
Geldverdienen mit Invaliden
Besonders verbreitetet ist es nach den Worten des Anwalts, mit Invaliden Geld zu verdienen, die aktiv in kirchliche Organisationen gelockt werden. „Häufig stehen hinter den Bettlern und Invaliden, die auf der Straße um Geld bitten, ausgerechnet die Pastoren und ihre Leute. Ich kenne viele solcher Fälle. Für gewöhnlich widersetzen sich ihnen diese Menschen nicht, da sie davon überzeugt sind, für die Bedürfnisse der Gemeinde zu sammeln, weshalb das Geld mit ihnen noch nicht einmal geteilt wird. An einem Tag kann man mit einem Invaliden auf der Straße tausend Hrywnja verdienen [ca. 36 Euro] – im Monat 30.000 [ca. 1000 Euro]“, berichtet Liberman.
Religiöse Konvertierungszentren
Ein weiteres gängiges Verfahren ist es, über die religiöse Gemeinde Geld zu waschen. Irgendeine Firma überweist eine runde Summe auf das Konto der Gemeinde, wobei aus wohltätigen Zwecken erfolgte finanzielle Zuwendungen steuerfrei sind. Der Priester geht zur Bank, hebt ohne Probleme und überflüssige Fragen das Geld ab, das angeblich für wohltätige Mittagessen oder Baumaterialien bestimmt ist. „Der Tarif, den ein Priester gewöhnlich für diesen Dienst nimmt, beträgt zehn Prozent der Summe. Die Summen können bis in die Millionen Hrywnja gehen. Ich weiß von einer Gemeinde in Kyjiw, im Bezirk Obolon, die sich direkt neben einer staatlichen Einrichtung befindet. Die Beamten dort nehmen auf dieselbe Weise Bestechungsgelder. Klienten werden in die Kirche geschickt, um wohltätige Spenden zu zahlen und hinterher wird das Geld dann untereinander geteilt“, erzählte uns ein Gesprächspartner, der nicht mit seinem Namen genannt werden möchte.
Arbeitstherapie in die Taschen des Pastors
Noch eine Art der Zusammenarbeit mit Politikern läuft über Rehabilitationszentren, die mit Hilfe einer Arbeitstherapie den Gemeindemitgliedern helfen sollen, sich von ihren Sünden zu befreien. Die Leiter dieser Zentren schlagen den Politikern vor, für eine kleine Summe Wahlkampf für sie zu betreiben.
„Die Summen, die dabei genannt werden, sind sehr niedrig. Das ist billiger, als etwa Studenten anzuheuern, beispielsweise für 10.000 Dollar das Gesamtpaket, welches das Verteilen von Flugblättern, Agitationen und Versammlungen beinhaltet. Den Bewohnern der Zentren braucht man dabei nicht einmal etwas zu erklären, immerhin sind sie bereit, für ihr Essen zu arbeiten“, macht Liberman deutlich.
Falsches Fotomaterial von Sommerlagern
Sommerlager, Ausflüge und Fremdsprachenworkshops stellen ebenfalls ein sehr lukratives Geschäft dar. Das Schema dabei ist folgendes: im Wald werden ein paar Zelte aufgestellt und von einer Seite ein paar fröhliche Kinder fotografiert, von einer anderen ein paar Rentner, von einer dritten eine Gruppe Invaliden.
„Hinterher werden die so entstandenen Fotoberichte an Wohltätigkeitsstiftungen verschickt“, erklärt einer unserer Gesprächspartner. „Bitte sehr, wir haben ein Kindercamp eingerichtet, eins für Erwachsene und eins für Invaliden. Ausländische Organisationen finanzieren nur zu gerne solche wohltätigen Veranstaltungen. Allein mit den Kindern beispielsweise lässt sich so eine Förderung von 100.000 Dollar erarbeiten. Gibt es noch andere Maßnahmen, kann sich die Summe sogar verdreifachen. Und das ist lediglich für ein Jahr. Auch werden Kinder oder Gruppen zu Ausflügen in die Karpaten geführt und den Wohltätigkeitsorganisationen im Anschluss ein Fotobericht vorgelegt, als ob sie viermal dort gewesen sind. Mitunter bringt man es fertig, sogar noch Gelder aus dem örtlichen Budget zu erhalten, da man sich, angeblich, mit der Entwicklung der Jugend beschäftigt oder Invaliden Hilfe leistet. Und alle sind glücklich.“
Die Ukraine unter sich aufgeteilt
Aufgrund der Höhe der erreichbaren Summen ist die Konkurrenz auf dem religiösen Markt eine ernste Angelegenheit. Es kann passieren, dass es mancherorts schon nicht mehr möglich ist zu „arbeiten“, da die Organisationen Territorien und Einflussgebiete bereits vor Jahren unter sich aufgeteilt haben. „Eine dieser Sekten“, wie uns jemand aus den Reihen der Rechtsschutzorgane erklärte, „bearbeitet die Gemeinde in Darnyzija [Stadtbezirk Kyjiws], in Ossokorky und in Posnjaky [Teilgebiete dieses Bezirks]. Eine andere agiert im Zentrum Kyjiws, in Petschersk. Eine dritte übernimmt nur die Jugendlichen und noch eine weitere nur die Rentner. So geht es in der ganzen Stadt.“ Der Konkurrenz, die sich entweder erst vor kurzem gebildet hat oder die sich an fremdem Territorium vergreift, entledigt man sich durch Schlägertypen oder durch kompromittierendes Material.
Iwan Liberman bestätigt uns diese Informationen: „Ich weiß, dass es sich in der Tat so verhält. Wobei allerdings die Einflussgebiete bereits in der gesamten Ukraine aufgeteilt sind, nicht nur in der Hauptstadt. Zum Beispiel arbeitet eine Gruppe in Kyjiw und Dnipro, in Cherson eine völlig andere. Es kam auch vor, dass man die Leute zur sonntäglichen Versammlung ins Gebetshaus eingeladen hat und dann standen dort bereits junge Männer mit Flugblättern, auf denen davon berichtet wurde, wie sich der Pastor an seinen Gemeindemitgliedern bereichert. Einige der Besucher schenkte dem keine Beachtung, andere wiederum wurden unschlüssig und gingen dort nicht wieder hin.“
Wie der Anwalt ergänzt, ist das religiöse Business in den letzten fünf Jahren zu einer ernsten Sache geworden und ähnelt mehr den Geheimdiensten mit ihrer Hierarchie: „Es gibt speziell Leute, die sich um die Neulinge kümmern, es gibt jene, die für das Geldeinsammeln zuständig sind, jene, die Informationen über mögliche Klienten zusammentragen und solche, die die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit beaufsichtigen. Einfach so zu einem Gottesdienst zu gehen und mit dem Telefon zu filmen, was dort geschieht, lässt man auch nicht mehr zu. Für so etwas kann man ganz gut eine verpasst bekommen.“
Wie Sekten entstehen
Im Kulturministerium gibt es eine Abteilung für Angelegenheiten der Religion und der Nationalitäten. Dort wurde uns erklärt, dass nicht die religiösen Organisationen registriert werden, sondern ihre Satzungen.
„Journalisten verwechseln das sehr häufig“, heißt es aus der Abteilung, „und schreiben dann, dass angeblich eine nicht-registrierte religiöse Organisation aktiv wäre. Tatsächlich aber können diese sich auch nicht registrieren lassen, so ist es vom „Gesetz über die Religionsfreiheit“ der Ukraine festgeschrieben.“ Die Registrierung selbst ist kostenlos, dauert aber, für Organisationen, die bereits existieren, etwa einen Monat. Neugegründete müssen drei Monate warten.
Nach den Angaben der Abteilung sind heute in der Ukraine 35.709 Satzungen religiöser Organisationen registriert. Die Beliebtheit solcher Registrierungen lässt sich ersehen anhand der Menge an juristischen Firmen, die vermittelnde Dienste diesbezüglich anbieten. Im Internet gibt es Hunderte davon. Eine sofort gültige Registrierung kostet hier etwa 4000 bis 7000 Hrywnja (ca. 140 bis 250 Euro).
Mit einer registrierten „Firma Gottes“ lassen sich Steuern und kommunale Kosten sparen. So ist der Preis auf Gas etwa um die Hälfte günstiger als für normale Ukrainer – seit dem 1. Mai beträgt er 3,9 Hrywnja (ca. 14 Eurocent] pro Kubikmeter, für alle anderen beträgt er 6,8 Hrywnja [ca. 24 Eurocent]. Beim Finanzamt, wie uns von Juristen erklärt wurde, muss man sich hierfür als gemeinnützige Organisation registrieren lassen. Dann braucht man auch keine Steuern auf Geschenke, nicht-rückzahlungspflichtige Finanzhilfen und Spenden zahlen. Außerdem kann man mit allem handeln, was unter die Formulierung „Waren, welche die Prinzipien und Ideen der Organisation propagieren“ fällt.
19. Juli 2016 // Jewgenija Iwanowa, Natalia Grizenko
Quelle: Westi Reportjor
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