Die ukrainischen Truppen im Donbass nehmen neue Positionen in der sogenannten „grauen“ Zone ein. Diese Taktik erhielt die Bezeichnung „schleichende Offensive“ im Verlaufe derer die Streitkräfte der Ukraine neue Territorien in Übereinstimmung mit den Minsker Abkommen einnehmen, die auch so unter Kontrolle der ukrainischen Seite sein sollten.
Auf diese Weise haben sich die Streitkräfte der Ukraine ungeachtet des Widerstands der Freischärler Debalzewo genähert und Gorlowka und Dokutschajewsk abgeschnitten. Der Meinung von Experten nach finden diese Manöver im Rahmen des Positionskrieges statt und bedeuten vorerst nicht, dass sich unsere Armee zu einer großen Offensive entschließt.
Über Felder und Anhöhen
Der Kreis der Stadt Debalzewo im Gebiet Donezk wurde zur Arena härtester Kämpfe im Winter 2015, als es den Freischärlern mit Unterstützung regulärer Teile der russischen Armee gelang den sogenannten Debalzewoer Brückkopf zu beseitigen – eine lange Ausbuchtung, die weit in die Positionen der Freischärler hineinragte. Die ukrainische Armee zog sich aus dem Brückenkopf zurück, dabei unter anderem die Stadt Debalzewo selbst zurücklassend, die ein wichtiger Transportknoten im Donbass ist.
Seitdem hat sich die Konfiguration der Front in diesem Gebiet verändert. Es wurde begonnen sie „Swetlodarsker Bogen“ zu nennen, der zur Arena ständigen Beschusses und lokaler Gefechte wurde. Die letzte Verschärfung in diesem Gebiet fand Ende 2016 statt, als die ukrainische Armee neue Positionen im „Swetlodarsker Bogen“ besetzte, dabei einige wichtige Anhöhen erobernd und die völlige Kontrolle über die Siedlung Nowoluganskoje herstellend. Den offiziellen Mitteilungen der ukrainischen Seite nach findet die Vorwärtsbewegung der Streitkräfte der Ukraine in diesem Abschnitt ohne Verstöße gegen die Minsker Abkommen statt, da die Stadt Debalzewo und ihre Umgebung gemäß Minsk-2 auch so unter die Kontrolle der Ukraine gehen sollten.
„In den vergangenen Monaten haben sich im ‚Swetlodarsker Bogen‘ sehr ernsthafte Kampfhandlungen fortgesetzt, im Ergebnis derer Einheiten der Streitkräfte der Ukraine sehr wichtige, neue Positionen eingenommen haben, doch innerhalb der Grenzen der Trennungslinie. Das heißt, die Minsker Abkommen wurden nicht verletzt“, erläuterte der Sprecher der Präsidialadministration in Fragen der Antiterroroperation, Alexander Motusjanik.
Diese Taktik erhielt die Bezeichnung „schleichende Offensive“, im Verlaufe derer die ukrainische Armee, auf gegnerischen Beschuss reagierend, vorteilhaftere Positionen in der „grauen Zone“ einnimmt – einem Streifen Land, der zwischen den Gräben der sich bekämpfenden Seite liegt. Von dieser Vorwärtsbewegung berichtete unter anderem in der vergangenen Woche der bekannte Freiwillige Jurij Mysjagin: „Von unseren Positionen im ‚Swetlodarsker Bogen‘ bis zu den nächsten Gebäuden und Häusern von Debalzewo bleiben nur noch fünf bis sechs Kilometer über Felder und Anhöhen. Noch vor einem Jahr waren es 25 Kilometer. Die Infanterie schritt voran und die ‚dritte Kraft‘ unterstützte. Und alles im Rahmen der Minsker Vereinbarungen.“
Der Fotokorrespondent der Zeitung Segodnja, Witalij Lasebnik, der 2015 bei Debalzewo im Bestand der Nationalgarde kämpfte, betonte, dass das Relief in dieser Gegend aus kleineren Anhöhen besteht. „Es ist aus taktischer Sicht von Vorteil diese zu besetzen, doch strategisch spielen sie keine besondere Rolle. Von irgendeiner großen Offensive zu reden macht keinen Sinn, denn beide Seiten haben sich dort sehr solide eingegraben“, erläuterte Lasebnik.
Übrigens gibt es keine genauen Angaben über die Größenordnung der Vorwärtsbewegung der ukrainischen Truppenteile in dieser Gegend. So teilte einer der Soldaten, der gerade im „Swetlodarsker Bogen“ kämpft mit, dass die Streitkräfte der Ukraine bis Sanscharowka vorgedrungen sind (Siedlung 15 Kilometer vor Debalzewo). Debalzewo selbst befindet sich bereits unter Kontrolle der Artillerie der Streitkräfte der Ukraine. Und der Koordinator der Gruppe „Informationswiderstand“, Konstantin Maschowez, präzisierte, dass die ukrainische Armee in letzter Zeit sich in diesem Gebiet um ein maximal anderthalb Kilometer nach vorn bewegt hat.
In Debalzewo selbst ist es bislang ruhig. Einer der Einwohner dieser Stadt teilte mit, dass er während der Dezemberkämpfe sogar darüber nachdachte, zur Tochter ins „große Land“ zu fahren, da er eine Wiederholung des Winters 2015 befürchtete, als ein Geschoss die Küche in seinem Haus zertrümmerte. „Im Dezember beschoss die Artillerie die Positionen der ukrainischen Armee vonseiten Gorlowkas und Uglegorsks. Es war sogar in der Nacht zu hören“, erzählte der Mann. Als alles ruhiger wurde, entschloss er sich doch vor Ort zu bleiben, da er nicht nur auf sein Haus, sondern auch auf die Häuser der Nachbarn achtgibt.
Gebiet Mariupol, Dokutschajewsk und Gorlowka
Die „schleichende Offensive“ findet nicht nur im Gebiet Debalzewo statt. „Es können Dokutschajewsk, Awdejewka, die Gebiete westlich von Gorlowka und nördlich von Mariupol hervorgehoben werden“, betonte Konstantin Maschowez. Seinen Worten nach sind im Ergebnis dieser Manöver Dokutschajewsk und Gorlowka halb eingeschlossen: „Die ukrainische Gruppierung bedroht Jassinowataja und kann im Zweifelsfall bis nach Jenakijewo vorstoßen.“ Die Halbumschließung von Dokutschajewsk, das nebenbei gesagt den Bedingungen von Minsk-1 nach von der ukrainischen Seite kontrolliert werden sollte, wurde im Herbst vorigen Jahres abgeschlossen. „Die Frage besteht lediglich darin, ob sich der politische Wille dafür findet, den letzten Befehl zu geben, die ‚Dokutschajewsker‘ Gruppierung der Freischärler ‚einzukesseln‘ und die Stadt zu säubern“, erklärte noch ein weiterer Koordinator des „Informationswiderstands“, Dmitrij Tymtschuk (Tymtschuk ist Parlamentsabgeordneter in der Fraktion Volksfront von Ex-Regierungschef Arsenij Jazenjuk, A.d.Ü.)
Maschowez Meinung nach werden die Manöver im Gebiet Mariupol dadurch erschwert, dass hier der operativ-taktische Rückraum der Freischärler sich bereits auf dem Territorium Russlands befindet, von wo aus Verstärkung eintrifft. Im Gegenzug versuchen die Freischärler vorteilhafte Positionen im Umkreis von Schirokino dafür einzunehmen, um den Stadtrand von Mariupol zu bedrohen, doch bislang gelingt es ihnen nicht.
Widerstand der Freischärler
Der Gegner versucht mit ähnlichen Manövern zu antworten. „Man kann beispielsweise an Kominternowo erinnern (Siedlung in der „grauen Zone“ bei Mariupol, die von den Freischärlern Ende 2015 eingenommen wurde). Sie versuchen ebenfalls unsere Truppen aus dem Awdejewkaer Industriegebiet und von Dokutschajewsk wegzudrängen“, erläuterte Maschowez.
Tymtschuks Worten nach, begreifend, welche Gefahr sich über Dokutschajewsk zusammenbraut, führen die Freischärleren dort ständige Umgruppierungen und Verstärkungen durch, dabei versuchend unsere Truppen von diesem Siedlungspunkt wegzudrängen. „Werden sie in diesem Gebiet angreifen? In den nächsten ein bis zwei Wochen kaum, denn dafür haben sie keine Kräfte. Doch wird der Beschuss fortgesetzt werden“, vermutet Tymtschuk. Eine ähnliche Lage der Dinge wird seiner Meinung nach im Gebiet des „Swetlodarsker Bogens“ erwartet, der ebenso ständigem Beschuss ausgesetzt ist. Wie Tymtschuk betont, kann die russische Kommandoführung bisher nicht die Absichten der Kräfte der Antiterroroperation durchschauen: „Sie fürchten die Variante des Jahres 2015, als sie unsere bei Debalzewo raushauten, doch unsere wiederum Schirokino nahmen. Um eine Offensivoperation bei Debalzewo durchzuführen, haben sie auch keine Kräfte.“
Was weiter
Wie Konstantin Maschowez erläuterte, finden die Prozesse, welche die Bezeichnung „schleichende Offensive“ erhielten, im Rahmen des Positionskrieges statt. „Das ist die Einnahme von vorteilhafteren Positionen und die Schaffung besserer Verteidigungsbedingungen. Von der Sache her ist es die Lösung taktischer Aufgaben und Probleme während des Positionskrieges“, betonte Maschowez.
Wie Tymtschuk betont, gestatten die Bedingungen von Minsk-2 der ukrainischen Seite nicht, Angriffe auf dem Territorium durchzuführen, dass sich unter der Kontrolle der Freischärler befindet: „Andernfalls kann das eine negative Reaktion vonseiten Russlands hervorrufen und ebenfalls unserer Partner in der ‚Normandie-Vier‘.“ Tymtschuks Worten nach sind im Donbass überhaupt keine Änderungen wenigstens vor dem Frühling zu erwarten, solange die Administration des neuen Präsidenten der USA, Donald Trump, nicht ihre neue Politik in Beziehung auf die Ukraine beschlossen hat. „In dieser Situation müssen wir selbst die Tagesordnung für Trump setzen. In der Ukraine wird die Verabschiedung des Gesetzes über die okkupierten Territorien vorangetrieben. Zum Anfang der neuen Sitzungsperiode am 7. Februar werden wir diese Frage zur Abstimmung stellen. Dieses Gesetz erlaubt es dem Donbass den Status eines okkupierten Territoriums, genauso wie der Krim, zu geben und aus dem Verhandlungsprozess die Vertreter der Freischärler – Puschilin und andere Personen – auszuschließen und die Verhandlungen unmittelbar mit Russland zu führen“, erklärte Tymtschuk.
25. Januar 2017 // Denis Popowitsch
Quelle: RBK Ukraina
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