Es scheint seit der letzten Parlamentswahl noch keine Woche vergangen zu sein, ohne dass von dem einen oder anderen Amtsträger die Gefahr des Faschismus herauf beschworen würde. Mancherorts fanden antifaschistische Demonstrationen statt und Politiker, einer wie der andere, versprechen ein entsprechendes Gesetz „durchzusetzen“.
Wenn es nicht um ukrainische Realität ginge, gäbe es keine Widersprüche, weil Faschismus keine gute Sache ist und es ist gut, dass die Gesellschaft solchen Tendenzen widersteht. Wir wissen aber, dass die Ukraine ein Land der (meistens unangenehmen) Überraschungen ist.
Die ukrainische antifaschistische Bewegung besteht aus jeder Menge Organisationen, Vereinigungen und Cliquen und die berühmtesten und stärksten von ihnen sind das Antifaschistische Forum der Ukraine (AFU) und das Antifaschistische Komitee der Ukraine (AFKU). Bekannt ist, dass das AFU mit der Partei der Regionen verbunden ist. An seiner Gründung waren Wadym Kolesnitschenko, Mykola Asarow und andere, nicht zufällige Personen, die zur heutigen Regierungsspitze gehören, beteiligt. Was das AFKU angeht, ist es ebenfalls ein „Tochterprojekt“ einer Pro-Regierungspartei, nämlich der Kommunistischen Partei der Ukraine (KMU). Im Folgenden werden wir versuchen herauszufinden, gegen was der ukrainische Antifaschismus, verkörpert durch das AFU und das AFKU, kämpft.
Es mag banal klingen, ist aber so: Die Grundlage von Antifaschismus sollte das Verständnis bilden, was Faschismus eigentlich in seiner historischen und gegenwärtigen Theorie und Praxis bedeutet. Wenn wir uns „die Theorie“ des AFU und des AFKU anschauen, sehen wir nur Chaos. Für „Faschismus“ wird ein vom sowjetischen Agitprop (Agitation und Propaganda) geerbter Sammelbegriff verwendet, in dem die Bedeutungsgrenzen zwischen Faschismus, National-Sozialismus, Nationalismus und sonstigem verschwimmen. „Man hat den Eindruck, dass das Wort „Faschismus“ jeglicher Bedeutung beraubt ist“, hat sich George Orwell noch im Jahr 1944, als dieser Begriff noch aktiver verwendet wurde, beschwert. Es ist verlockend, dieses terminologische Durcheinander der intellektuellen Unfähigkeit von Theoretikern zuzuschreiben und einen Schlusspunkt zu setzen. Es ist aber ganz einfach: Hinter diesem Chaos versteckt sich eine ganz deutliche inhaltliche Tendenz.
Die meisten Agitationen vom AFU und AFKU berufen sich sicherlich in erster Linie auf den historischen „Faschismus“, der durch den Nürnberger Prozess verurteil wurde; es ist ein Allgemeinplatz für jede Art von Faschismus. Selbstverständlich kann man hier nichts dagegen einwenden. Noch öfters wird Bezug auf die Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN) und die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) genommen, die unwiderruflich als faschistische Organisationen gelten. Das Dritte Reich existiert bereits länger nicht mehr, ein Häufchen der UPA-Veteranen jedoch lebt ihre letzten Tage. Gegen wen kämpfen also die Anti-Faschisten?
Die offensichtliche Antwort ist: Gegen die jetzige Parlamentspartei Swoboda (Allukrainische Vereinigung „Freiheit“). Man hat das Gefühl, dass nur der letzte Hinterwäldler diese Partei noch nicht als nazistisch oder faschistisch beschimpft hat. Die Sache verschärfte auch das Simon Wiesenthal Center, in dem es Oleh Tjahnybok und Ihor Miroschnytschenko auf die Liste der führenden Antisemiten des Jahres 2012 gesetzt hat. Tatsächlich sind manche Ausdrücke und Taten der Parteimitglieder xenophob und antisemitisch angehaucht und manche Parteileute wurden beim Flirten mit dem Nationalismus ertappt. Haben sich die vaterländischen Antifaschisten tatsächlich über die Erfolge ihrer Gegner bei der Wahl so aufgeregt?
Jain. Einerseits ist ein Löwenanteil der AFU- und AFKU-Propaganda gegen die Partei Swoboda ausgerichtet. Wobei im ideologischen Diskurs der Antifaschisten die Swoboda nur als eine Avantgarde des „orangenen“ Faschismus empfunden wird: Darunter befinden sich sowohl der Block Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung (NUNS), als auch der Block Julija Tymoschenko (BJuT) und die heutige Partei Batkiwschtschyna (Vaterland) zusammen mit der Ukrainischen Demokratischen Allianz für Reformen (UDAR). Sie meinen, das sei amüsant? Überhaupt nicht. In den Unterlagen vom AFU und AFKU ist es ein Allgemeinplatz.
„Juschtschenko und seine Umgebung haben Hitler als ihren Lehrer und ihr Vorbild ausgesucht“, so werden die „Orangenen“ von einem der AFKU-Analytiker entlarvt. „Nationalliberalismus proklamiert heute die Werte, die zu seiner Zeit der Nazismus deklarierte“, behauptet man im AFU.
Die vaterländischen Antifaschisten beschränken sich aber nicht nur auf die Widerlegung der „Orangenen“, sie kämpfen genau so engagiert gegen… die Ukrainer selbst und dies nicht im politischen Sinne, sondern ethnisch. „Die ukrainische Sprache verdrängt Russisch aus Kyjiw und verwandelt die Hauptstadt in eine dreckige Brutstätte für dumme, eingeschränkte Sprachdeppen – „Mownjukatschi“ – denen es an einem Mindestmaß an Kultur mangelt“, schreibt einer der AFU-Analytiker. Welche Verbindung besteht zwischen der sprachlichen Entwicklung in der Hauptstadt und der Gefahr von „Faschismus“?
Nicht nur Sprache, sondern auch Glaubensangelegenheiten können „faschistisch“ sein. Beispielsweise wird die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche von den Antifaschisten mit dem Eifer der Schwarzen Hundertschaften kritisiert. Die Webseiten des AFU und des AFKU sind voll von Phrasen, wie „die Unierten sind nichts anderes, als die ehemaligen Orthodoxen, die ihren Glauben verraten haben“, „man sollte die Gefahren von Aktivitäten der Unierten nicht unterschätzen“, „typische Zweiseeligkeit eines Unierten“ u.s.w. Warum? Weil „unierte Kirche und Nationalismus Zwillinge sind“! Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche – Kiewer Patriarchat (UPZ KP) bleibt auch nicht ohne Kritik für die „Trennung der kanonischen orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat“… Also so ein Antifaschismus.
Im Großen und Ganzen bildet die ideologische Basis des AFU und des AFKU eine historische Achse, die den historischen Faschismus und Nationalismus, den ukrainischen Nationalismus aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und politische pro-westliche und „pro-ukrainische“ Richtungen, die so genannten „Orangenen“ und „Unabhängigen“, verbindet. Sozio- und ethnokulturell gesehen, sind die Ukrainischsprachigen, die Angehörigen der griechisch-katholischen Kirche und die Orthodoxen des Kiewer Patriarchats ebenfalls „Faschisten“. Sogar die Wyschywanka (ukrainisches Trachtoberteil) als ein Teil der Garderobe wird im AFU- und AFKU-Diskurs zu einem Symbol ähnlich der Swastika. Zusätzlich ist der antifaschistische Diskurs voll von offener Xenophobie und von Rhetorik, die besser zu den schwarzen Hundertschaften passen würde als zu den Verteidigern der humanistischen Ideale.
Die Unstimmigkeiten zwischen der Hülle und dem Inhalt sind am einfachsten mit dem Tausch der Begriffe zu erklären: Ukrainophoben verkaufen sich als Antifaschisten, um naive Leute zu täuschen. Tatsächlich ist Antifaschismus ein zu wertvolles Brandzeichen, um es in politischen Zielen nicht zu nutzen. Dies versteht man sowohl in der Partei der Regionen, als auch in der Kommunistischen Partei der Ukraine. Hinter dem Antifaschismus steht die Autorität der internationalen Organisationen, der weltbekannten Persönlichkeiten und am wichtigsten der ganze Schrecken des Zweiten Weltkrieges und die Agitationsarbeiten in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Die Ukrainophobie ist aber kaum das Endziel der selbsternannten Antifaschisten.
Es sieht danach aus, dass hinter der Hülle des Antifaschismus sich eine Konstruktion der Ideologie für den Osten und Süden der Ukraine verbirgt. Das AFU- und AFKU-Antifaschismusmodell selbst unterstützt diese Hypothese. Hier findet sich sowohl der Schutz der russischen Sprache vor den „Mownjuky“ und die Erbschaft zwischen dem „Siegervolk“ und der „russischen Welt“, als auch antiwestliche Rhetorik: Diese Punkte entsprechen vollkommen den Einstellungen im Südosten der Ukraine. Es ist kein Wunder, dass die Leuchttürme des Antifaschismus die Projekte der „südöstlichen“ Parteien sind und die Offensive des Faschismus der Karte der Oppositionswählerschaft entspricht.
Was den Faschismus als solchen angeht, bleibt er ein marginales Phänomen. Dafür ist nicht zuletzt dem AFU und dem AFKU zu danken, die die ukrainische Gesellschaft mit Xenophobie schüren und falsche Stereotypen erzeugen. Der Unterschied besteht nun darin, dass die Hassobjekte keine Juden und Russen, sondern „Mownjuky“ (die Ukrainischsprachigen) und „Halizaji“ (Mischung aus Galizier und Polizei, womit die während der deutschen Besatzung aus ukrainischen Kollaborateuren aufgestellte Polizei gemeint ist) sind.
09. Januar 2013 // Maksym Wichrow
Quelle: zaxid.net
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