Wir sind eine Gruppe Studierende der Hochschule Magdeburg-Stendal, Standort Magdeburg, die durch das Programm „Ost-West-Dialog“ des DAAD die Möglichkeit bekommen haben, sich im Rahmen eines Projektkurses an unserer Hochschule im Juni 2018 für eine Woche zu unserer Partneruniversität nach Perejaslaw/Ukraine zu begeben. Unsere Gruppe bestand aus zwölf Studierenden der Sozialen Arbeit und zwei Dozentinnen, wobei wir von weiteren Student*innen vor Ort begleitet wurden.
Das Thema des Projektes war „Medien und Demokratie“. Deshalb hatten wir die Möglichkeit, einige Fernsehsender zu besuchen, Gespräche mit Journalist*innen zu führen und uns auch in einigen Institutionen mit verschiedenen Aspekten des Themas auseinanderzusetzen.
Im Folgenden werden wir über den überregionalen Sender hromadske.tv, aus Kiew, berichten. Hauptaugenmerk wird dabei auf die Geschichte des Senders, seine Finanzierung sowie den Umgang mit kritischen Themen in Bezug auf die Pressefreiheit aus Sicht von Journalist*innen gelegt. Die folgenden Informationen basieren auf einem Interview mit dem leitenden Produzenten des TV-Senders und der E-Mail-Korrespondenz mit ihm.
Die Gründer des Senders wollten mit dem Sender, welcher im ukrainisch-, russisch- und englischsprachigen Raum empfangen werden kann, eine freie Berichterstattung erreichen. Da dies nicht zu allen Zeiten in der ukrainischen Medienlandschaft möglich war, haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, unabhängig von der Regierung zu agieren.
Zur Amtszeit von Präsident Kutschma (19. Juli 1994 – 23. Januar 2005) erhielten alle Sender die gleichen Informationen. Es durfte nur das berichtet werden, was dieser vorgab. Eine staatliche Medienfinanzierung machte dies möglich. Durch die Revolution im Jahr 2004, „Orangene Revolution“ genannt, entwickelte sich ein stärkerer Wunsch nach Meinungsfreiheit. Ein Großteil der Bevölkerung war bereit seine Meinung frei zu äußern. Die Zeit wird auch als Blütezeit für den sogenannten „5 Kanal / Fünften Sender“ bezeichnet, der dem jetzigen Präsidenten Petro Poroschenko gehört.
Die Pressefreiheit, welche sich bis zum Jahr 2010 positiv entwickelte, erlitt einen großen Rückschritt mit der Präsidentschaftswahl 2010. Im Ergebnis der Wahl wurde Wiktor Janukowytsch zum Präsidenten ernannt. Danach begann eine Hetzjagd auf Journalist*innen, die bis zu Androhungen von körperlicher Gewalt und Mord reichten. Eine gewisse Unzufriedenheit wuchs in der Bevölkerung, da auffiel, dass nicht alles der Wahrheit entsprach, worüber berichtet wurde. Aufgrund all dieser Geschehnisse entstand hromadske.tv. Hier versammelten sich Journalist*innen, die zuvor anderen Sendern angehörten, mit dem Ziel unabhängig zu berichten.
Der Sender, so wie er heute bekannt ist, gründete sich erst im Jahr 2013, aus dem Zusammenschluss jener Journalist*innen. Den Grundstein für dieses Format legte der Journalist Roman Skrypin. Zur Anfangszeit war der Sender ein reiner YouTube Kanal, welcher heute mit über 150 verschiedenen Kabelanbietern kooperiert und auch ohne Internet in ca. 4,5 Millionen Haushalten empfangen werden kann. Im selben Jahr strahlte der Sender zum ersten Mal am 22. November um 19.00 Uhr der Zeitzone Kiew aus. Die von da an regelmäßigen Übertragungen drehten sich um die Ereignisse auf dem ‚Maidan‘, wodurch der Sender an Popularität gewann. Kein anderer Sender tat das, was sie taten: Sie berichteten rund um die Uhr über die heute als „Euro-Maidan“ bekannten Ereignisse im Winter 2013/14. Obwohl das Ganze zunächst auf eine große, positive Resonanz stieß, verlor der Sender nach einiger Zeit die Aufmerksamkeit. Der Grund dafür war, dass es durch diese dauerhafte Übertragung nicht mehr möglich war zur Normalität zurückzukehren. Daraufhin entschloss sich der Sender gesellschaftskritische Themen aufzunehmen und sie in die Sendungen mit einzubauen, was dafür sorgte, dass die Bevölkerung wieder anfing hromadske.tv aufmerksamer und öfter zu schauen. Durch die Veröffentlichung kritischer Inhalte wuchs die Gefahr für Leib und Leben der Journalist*innen. Auch Verhaftungen stellen weiterhin eine Bedrohung für eine freie Berichterstattung dar.
Für den Sender eine unabhängige Finanzierung zu ermöglichen war eine zusätzliche Herausforderung, der man begegnen musste. Zu Gründungszeiten wurde er von einfachen Menschen finanziert, welche sich mit einer Spende am Aufbau des Senders beteiligten. Die heutige Finanzierung erfolgt durch Fundraising von namhaften Institutionen und Organisationen wie der OECD (Organization for Economic Cooperation and Development), der Europäischen Union sowie durch Gelder von namhaften internationalen Stiftungen. Es stellt sich allerdings die Frage, inwiefern ein Sender, der von ausländischen Investoren unterstützt wird, eine neutrale und objektive Berichterstattung gewährleisten kann.
In einem nachträglichen Austausch per E-Mail mit dem Journalisten, mit dem wir das Interview vor Ort geführt hatten, erfragten wir seine Meinung zu der aktuellen Reform im Bereich der Medienfinanzierung. Bei dieser Reform geht es darum, die bisher staatlich finanzierten Medien in öffentlich rechtliche Medienanstalten zu verwandeln. Seine Antwort für hromadske.tv war, dass sie jeden Schritt in eine zukunftsfähige Ukraine akzeptierten und es einer dieser Schritte sei, die Medien unabhängiger werden zu lassen, um die Menschen mit sachlichen und objektiven Informationen zu versorgen. Öffentlich finanzierte Sender zu haben, sei einer dieser Schritte, schrieb er.
Hintergrund unserer Frage ist eine Gesetzesänderung in der Ukraine bezüglich der Finanzierung der bislang staatlich finanzierten Medien. Diese Reform vom Januar 2017 zielt auf die Umwandlung der staatlichen in öffentlich-rechtliche Medienanstalten, damit die durch diese Art der Finanzierung gestützte einseitig regierungsnahe und parteiische Berichterstattung der Vergangenheit angehört. Als Vorbild für die Finanzierung dienen die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten in Deutschland: Dort werden alle drei Monate 52,50 Euro von jedem Haushalt eingezogen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung) und an die öffentlich-rechtlichen TV- und Rundfunkanstalten verteilt, die damit ihre Produktionen auch weitgehend ohne Werbung finanzieren können und so unabhängig von den jeweiligen Regierungen sind.
Das ukrainische Gesetzesvorhaben erhielt finanzielle Förderung durch den Europarat, um europäische Standards umzusetzen, die es aktuell in der Ukraine nicht gibt. Momentan sind drei staatliche überregionale Fernsehsender vorhanden, die aufgrund einseitig empfundener, regierungsnaher Berichterstattung schlechte Einschaltquoten aufweisen. Die Mehrzahl der Sender ist privat und wird von einflussreichen und finanzstarken Männern finanziert, wie zum Beispiel die beiden beliebtesten Fernsehsender der „Fünfte Kanal“, welcher dem Präsidenten Petro Poroschenko gehört, und der Kanal „1+1“, der mehrheitlich im Besitz des Oligarchen Ihor Kolomojskyj ist.
Allerdings erweist sich der Übergangszeitraum der Reform von zwei Jahren für viele staatliche Medien als schwierig. So bleibt es auf der einen Seite offen, wie eine Art einheitlicher „Rundfunkbeitrag“ innerhalb der dezentralisierten Kommunen organisiert werden kann. Andererseits müsste die neue Rolle der vielen einzelnen lokalen Fernsehsender, die die verschiedenen Kommunen zurzeit noch zahlen bzw. betreiben, genauer geklärt werden. Nach unserer Meinung sollte ein Kompromiss gefunden werden, damit in der zukünftigen Ukraine eine demokratische und öffentlich-rechtliche Medieninstitution etabliert wird, die eine neutrale Berichterstattung auf der lokalen, regionalen und gesamtstaatlichen Ebene sicherstellt. Jedoch liegen uns derzeit keine Informationen vor, welchen den Stand über Umsetzung der Reform in diesem Sinne beschreiben.
Verfasser*innen der Hochschule Mageburg-Stendal:
Luisa Göthert,
Anja Schulze,
Alexandra Brösch,
Katharina Gose,
Tim Ohlrogge
Kontakt: ErJemand{ät}t-online.de
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