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Wie die westliche Salamitaktik Putin bei der Destabilisierung der Ukraine hilft

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Die Wahl, vor der heute die Ost- und Südukrainer stehen, ist nicht nur eine moralische, sondern auch eine strategische. Sollen sie einen entschlossenen, übermächtigen Angreifer oder einen schwachen Staat stützen, der auf sich allein gestellt scheint? Angesichts der nur verhaltenen westlichen Parteinahmen für die Ukraine dürfte für viele Bürger die Versuchung, sich auf die Seite des zu erwartenden Siegers zu stellen, groß gewesen sein und bleiben.

Was ist die Konsequenz der relativen westlichen Untätigkeit angesichts der russischen Intervention in der Ukraine? Der Westen wird zwar einem Staat, der nicht NATO-Mitglied ist, keine militärische Hilfe anbieten können. Er könnte jedoch mit umfassenden, eindeutigen und spürbaren Sanktionen klar Partei für die Ukraine ergreifen. Auch damit mag er freilich keine Soforteffekte beim russischen Aggressor auslösen. Er verändert dadurch jedoch das Gesamtbild der Konfrontation und die Kalkulationen sowie Zukunftsperspektiven aller beteiligten Akteure. Moskau versus Kiew ist ein Konflikt; Russland gegen die Ukraine und den Westen ein ganz anderer. Der symbolische Wert von Sanktionen im russisch-ukrainischen Konflikt mag letztlich sogar höher sein, als ihre direkten finanziellen Auswirkungen auf Russland.

Die Menschen in der Ost- und Südukraine standen und stehen heute vor einer schwierigen Alternative. Sie sind herausgefordert, nicht nur eine moralische, ideologische oder politische, sondern auch eine existenzielle Entscheidung zu treffen. Sie müssen nicht nur jeder für sich feststellen, was gut und schlecht, rechtens und falsch ist. Eine womöglich noch wichtigere Entscheidung ist, auf welcher Seite des Konflikts – der russischen oder ukrainischen – ihre Region, Stadt, Kommune und Familie heute am ehesten überleben und in der Zukunft am besten leben kann.

Diejenigen, die sich auf der Krim oder nun in der Ostukraine zur Kollaboration mit dem russischen Aggressor entschlossen haben oder entschließen werden, treffen womöglich ihre Entscheidung nicht nur aus Überzeugung. Stattdessen muss vermutet werden, dass viele einfach auf der offenbar mächtigeren Seite und im zu erwartenden Siegerlager sein möchten. Das Verhalten Moskaus gegenüber der Ukraine war und ist entschlossen, machtvoll und bisher erfolgreich. Ohne Unterstützung aus dem Westen in dieser Konfrontation wirken die Handlungen Kiews pathetisch und perspektivlos. Klar ist, dass auf sich allein gestellt, die Ukraine kaum Chancen hat, dem ökonomisch und militärisch übermächtigen Gegner zu widerstehen. Der Westen wäre zwar eine potenziell machtvolle dritte Partei in diesem Konflikt. Er ist jedoch bislang hauptsächlich rhetorisch engagiert – „sehr besorgt“, „tief enttäuscht“, „aufrichtig betrübt“ … Die bisherigen westlichen Sanktionen gegen Russland wurden in Moskau mit Sarkasmus und sogar Humor aufgenommen. Die EU ist nicht einmal bereit, einen künftigen weiteren Ausbau ihrer bereits engen ökonomischen Verflechtung mit Russland zu stoppen. Diese Message zumindest vermittelte der demonstrativ freundliche Besuch einer Siemens-Delegation in Moskau vor zwei Wochen.

Warum sollten sich unter diesen Umständen die Ost- und Südukrainer auf die offensichtliche Verliererseite im russisch-ukrainischen Konflikt stellen? Warum sollen sie an der Verteidigung eines scheinbar todgeweihten Staates teilnehmen, der keine wirklichen Freunde hat? Warum sollen die Ostukrainer einer Regierung folgen, deren Tage ohnehin gezählt sind? Der Westen diskutiert und verhandelt, während Russland Fakten schafft, ohne dafür spürbar bestraft zu werden. Budapester Memorandum, Östliche Partnerschaft, Assoziierungsabkommen…? Papierfetzen ohne Bedeutung für die heutige existenzielle Herausforderung der Ukraine.

Russlands Kollaborateure in der Süd- und Ostukraine mögen häufig lediglich rationale Akteure sein. Washington und weit mehr noch Brüssel sowie Berlin bestätigen seit Monaten das russische Medienbild: Der Westen ist moralisch degeneriert, ökonomisch abhängig und politisch impotent. Zum russisch-ukrainischen Konflikt produziert er vor allem heiße Luft. Vor diesem Hintergrund waren und bleiben etliche ostukrainische Bürger versucht, sich auf die Seite Russlands zu schlagen. Sie erwarten von dieser Handlungsstrategie eher zu profitieren, als von Widerstand gegen den Aggressor oder von Untätigkeit im Konflikt.

Der bisherige diplomatische Ansatz des Westens blieb bisher nicht nur ohne greifbare Ergebnisse. Er hat indirekt Putin unterstützt. Der Westen hat mit seinem Verhalten womöglich tausende schwankende ukrainische Bürger auf der Krim, im Donbass oder in Charkiw überzeugt, mit dem offenbar stärkeren Sieger zusammenzuarbeiten. Für viele mag es klüger erscheinen, auf der Seite eines Gewinners zu sein, der weiß was er will und unangreifbar erscheint. Das Vaterland mag einigen womöglich sogar näher stehen. Es wird nun jedoch von den hunderten westlichen Politikern, die die Ukrainer jahrelang über europäische Werte belehrten, im Regen stehen gelassen. Letztlich ist jeder sich selbst am nächsten.

Eine redaktionell veränderte Version des Beitrages erschien zuvor in ZEIT ONLINE. Die hier veröffentlichte ist die Originalversion des Autors, auf die sich gegebenenfalls berufen werden kann.

Autor:    — Wörter: 720

Dr. Andreas Umland (1967) ist seit 2010 Dozent am Fachbereich Politikwissenschaft der Kyjiwer Mohyla-Akademie (NaUKMA) und seit 2021 Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) des Schwedischen Instituts für Internationale Beziehungen (UI).

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