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Mustafa Cemilev (Dschemilew): „Wir haben ein halbes Jahrhundert für die Rückkehr in die Heimat gekämpft. Zurückgekehrt sind wir schließlich in die Sowjetunion“

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Am 4. Mai hat die Russische Staatsanwaltschaft (auf der Krim, A.d.Ü.) gedroht, den Medschlis des krimtatarischen Volkes zu liquidieren. Der Medschlis genießt unter den Krimtataren höchstes Ansehen. Als Grund für diese Drohung dienten die Ereignisse vom 3. Mai, als einige Tausend Krimtataren an der Grenze der Halbinsel mit der Ukraine in der Stadt Armjansk versuchten, die Grenzschützer dazu zu zwingen, einen ihrer Anführer, den ehemaligen Medschlis-Vorsitzenden und Abgeordneten im Obersten Rat (Werchowna Rada) der Ukraine Mustafa Cemilev (Dschemilew), einreisen zu lassen. Cemilev, früher ein bekannter Dissident, der mehr als 15 Jahre in Gefängnissen und im Exil verbrachte, trat aktiv gegen das Referendum über die Angliederung der Krim an Russland ein und hat auch weiterhin nicht vor, dieses Referendum anzuerkennen.

Die russische Onlinezeitung Slon hat sich mit Cemilev in Verbindung gesetzt, um mit ihm über die Zukunft des Medschlis und das weitere Vorgehen des krimtatarischen Volkes zu sprechen.

Haben Sie irgendwelche Erklärungen von den russischen Behörden erhalten, warum man Sie nicht auf die Krim einreisen lässt?

Nein, das habe ich nicht. Mehr noch, die Lage ist jetzt noch undurchsichtiger. Das letzte Mal bin ich am 22. April aus der Krim ausgereist. Damals sprachen mich an der Grenze Soldaten der sogenannten „Selbstverteidigung der Krim“ an und erklärten, dass gegen mich ein Einreiseverbot für Russland ausgesprochen wurde. Na gut, dachte ich, warum immer sie mir auch die Einreise nach Russland verbieten, ich fahr offen gesagt sowieso nicht oft dahin. Auf meine Frage, wo die Unterschriften seien, wer das Einreiseverbot denn erlassen habe, erhielt ich die Antwort, dass die Soldaten nur bevollmächtigt seien, diese Sanktionsmaßnahme mitzuteilen. Später gab es viel Aufhebens in der Presse, und die russische Seite erklärte, dass das alles Lügengeschichten seien, es keine Beschlüsse über irgendwelche Einreiseverbote bezüglich meiner Person gebe und alles Gerede davon Propaganda der westlichen Medien sei.

Am 3. Mai wollte ich von Kiew auf die Krim fliegen. Da es derzeit keine Direktflüge zwischen der Krim und Kiew gibt, nahm ich einen Transitflug über Scheremetjewo. Als ich auf dem Moskauer Flughafen eintraf, verweigerte mir ein FSB-Mitarbeiter die Einreise auf das Gebiet Russlands. Wiederum keinerlei Dokumente, nichts. Er teilte mir das lediglich mit und gab mir sofort ein Ticket für den Rückflug nach Kiew. Also musste ich zurückkehren.

Ich versuchte daraufhin, mit dem Auto auf die Krim zu fahren. Das sind ungefähr zehn Stunden Fahrt, und noch mal solange kann man an der Grenze stehen. Als wir schließlich ankamen, war der Kontrollpunkt von Soldaten blockiert. Es waren ungefähr tausend Menschen, darunter irgendwelche maskierten Kosaken, Tituschki, Milizen und Menschen in Zivil. So als ob sie einen Kampf mit uns vorbereiteten. Von der Krim aus fuhren uns ungefähr achthundert Autos mit Krimtataren entgegen. Sie durchbrachen die Kette, überschritten die Grenze und kamen mir entgegen. Es war eine angespannte Situation – die Verhandlungen dauerten fünf oder sechs Stunden. Die Soldaten erklärten, dass sie alle, die die Grenze ohne Erlaubnis übertreten hätten, nicht wieder einreisen lassen würden. Wir bereiteten uns darauf vor, die Kette erneut zu durchbrechen, doch da gingen Anrufe aus dem Europaparlament und aus der Türkei ein.

Der türkische Botschafter versicherte mir, dass seine Regierung, einschließlich Minister Erdogan, die Situation auf der Krim verfolge, darum bitte, den Kontrollpunkt nicht zu durchbrechen und ausrichten lasse, dass ich nach Kiew zurückkehren soll, damit sie die Situation auf diplomatischem Wege lösen könne. Andernfalls könnte es zu schlimmen Ereignissen kommen. Die Ukraine ist schon so in einer schwierigen Lage, es gibt zahlreiche von den russischen Geheimdiensten entfachte Krisenherde. Wir haben die Bedingung gestellt, dass ich zurückfahre, wenn meine Landsleute, die die Grenze durchbrochen hatten, zurückkehren dürfen. Dies geschah dann auch. Doch am nächsten Tag begannen Vorladungen derer, die die Grenze übertreten hatten. Warum man mich aber nicht hat einreisen lassen, hat immer noch niemand erklärt.

Sie haben doch am Vorabend des Referendums in der Krim mit Präsident Putin telefoniert. Haben Sie jetzt nicht versucht, mit ihm in Kontakt zu treten?

Nun, ich habe vier Tage vor dem Referendum mit ihm gesprochen. Und schon damals war das im Wesentlichen ein Gespräch zwischen zwei Tauben. Ich habe ihm meinen Standpunkt mitgeteilt, Putin bestand auf dem seinigen. Er sagte, dass alles von der Meinung der Krimbevölkerung beim Referendum abhängen würde, und ich antwortete ihm, dass es nicht möglich sei, eine faire Abstimmung in einem besetzten Gebiet abzuhalten. Putin sagte, dass Russland für die Krimtataren wesentlich mehr tun würde, als die Krim für sie in 23 Jahren getan hat. Er versprach, dass wir ganz einfach glücklich sein würden. Aber ich antwortete ihm, dass Russland seine Truppen abziehen solle, dann könne man über alles reden. Hilfe von Russland für unser Volk sei willkommen, doch nur auf Grundlage internationaler Verträge zwischen Russland und der Ukraine. Nach diesem Gespräch hatte ich keinen Kontakt mehr, weder zu ihm noch zu seinen Vertretern.

Freilich, als man mich am 3. Mai in Scheremetjewo nicht durchließ, sprach ich mit einem Duma-Abgeordneten, den ich aus der Parlamentsversammlung des Europarats kenne. Er rief mich an und schlug mir vor, ein Gesuch an Putin zu richten und ihn zu bitten, die Sache zu klären. Ich fragte: Wie nun, bin ich jetzt etwa ein Untertan Putins, dass ich solche Gesuche schreiben kann? Er ist vermutlich auch so schon auf dem Laufenden.

Und was haben Sie jetzt vor zu tun?

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Ich werde hin und wieder an die Grenze zur Krim fahren und trotz allem versuchen, zu mir nach Hause zu gelangen. Das ist eine Schweinerei, wir haben ein halbes Jahrhundert für die Rückkehr in die Heimat gekämpft – und hier kommen irgendwelche Soldaten und verbieten uns, zu Hause zu sein.

Aber Sie verstehen, warum man Sie nicht einreisen lässt? Sie haben doch, wie ich verstehe, die Ergebnisse des Krim-Referendums bis heute nicht anerkannt.

Die hat doch niemand anerkannt, außer Russland selbst und ganz wenigen Ländern.

Nun, vom Standpunkt des Völkerrechts haben Sie recht. Aber die Bevölkerung der Krim verhält sich ruhig, es gibt keine Proteste, und man hat sich scheinbar damit abgefunden, dass das jetzt russisches Territorium ist.

Niemand hat sich abgefunden! Da herrscht ganz einfach Terror. Der einzige Ort auf der ganzen Krim, wo eine ukrainische Flagge hängt, ist das Gebäude des Medschlis des Krimtatarenvolks. Und auf den stürzen sie sich, wie Bullen auf ein rotes Tuch. Sie fallen über sie her, zerreißen sie und schreien, dass die Flagge der Ukraine Rassenhass entfacht! So ein Idiotismus. Als die Krim von der Ukraine regiert wurde, sind die Menschen zu Hunderten mit russischen Flaggen durch die Krim gezogen, und niemand hat das weiter beachtet. Genau diese Leute stören sich jetzt wie verrückt an den ukrainischen Flaggen. So eine Stimmung herrscht dort. Gerade als ob wir in die Sowjetunion zurückgekehrt seien. Und zwar weitaus nicht in die beste Epoche der Sowjetunion.

Aber wo liegt der Sinn darin, Sie nicht auf die Krim zu lassen?

Das ist irrational. Im 18. oder 19. Jahrhundert wäre das normal gewesen. Als es noch keine Telefone und kein Skype gab, da wäre es möglich gewesen, den Anführer der Krimtataren kaltzustellen. Doch heutzutage ist es möglich, sich von überall aus an seine Landsleute zu wenden. Das ist ein sehr seltsamer Schritt vonseiten Russlands, und zwar auch gegenüber sich selbst. So als ob Russland irgendein Blutvergießen provozieren wollte. Und das ist einfach nur schlichte Dummheit.

Im März waren Sie in Moskau, um sich mit dem ehemaligen Präsidenten von Tatarstan Schaimijew zu treffen. Hat er nicht versucht, in diesem Konflikt zu vermitteln?

Nein. Ich habe mich mit Schaimijew getroffen, aber jetzt ist Minichanow Präsident in Tatarstan, und er kommt ständig auf die Krim und erzählt den Tataren, wie gut sie es in der Russischen Föderation haben werden. Sonst hat er derzeit keine Funktion.

Gestern tauchten in den Medien Meldungen auf, in denen unter Hinweis auf Sie die Rede davon war, dass die Krimtatarenbewegung auf der Krim in den Untergrund gehen könnte. Was heißt das?

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Nein, die Krimtataren als Volk können unmöglich in den Untergrund gehen. Die Rede war davon, dass der Medschlis des Krimtatarenvolks in den Untergrund gehen könnte, falls seine Tätigkeit auf dem Gebiet der Russischen Föderation verboten wird. Das wäre einfach eine Rückkehr in die Sowjetzeit, als unsere nationalen Strukturen verboten waren. Egal ob legal oder illegal, der Medschlis wird weiterexistieren.

Bei uns im Land hat das Wort „Untergrund“ in letzter Zeit eine sehr klare Konnotation im Zusammenhang mit den Kämpfern im Nordkaukasus.

Nein, das Wort „Untergrund“ habe ich nicht in den Mund genommen. Das haben sich Journalisten ausgedacht.

Und wie ist jetzt die Stimmung Ihrer Mitstreiter? Sie sagen, dass sie die Ergebnisse des Referendums nicht anerkennen, man lässt Sie nicht zu ihnen. Haben sie vor, etwas in dem Zusammenhang zu unternehmen?

In zwei Wochen, am 18. Mai, ist der 70. Jahrestag der Deportation der Krimtataren. Ein rundes Datum. Da werden alle, ob sie nun für oder gegen Russland sind, eine große Veranstaltung machen. Und da wird es natürlich auch um den Anschluss an Russland gehen. Doch die Stimmung ist bedrückend, man erwartet etwas Schlimmes. Einige Tausend Krimtataren haben die Halbinsel schon verlassen oder ihre Frauen und Kinder weggeschafft. Die Kinder müssen in den Schulen Ihre (die Russische, A.d.Ü.) Hymne singen, das bringt die Eltern in Rage. Deswegen ist die Spannung um ein Vielfaches angestiegen. Die Krimtataren werden natürlich bis zum Letzten durchhalten, doch wenn dir groben Gemeinheiten nicht aufhören, wird man die Unzufriedenheit unseres Volks nicht mehr zurückhalten können.

Rufen Sie Ihre Mitstreiter jetzt zu irgendetwas auf? Was geben Sie ihnen mit auf den Weg?

Ich habe immer gesagt, dass wir 50 Jahre lang an unserer Rückkehr in die Heimat gearbeitet haben. Und ich sagte immer mit Stolz, dass wir in alle den Jahren nicht einen Tropfen Blut vergessen haben – weder eigenes noch fremdes –, und dass wir diesem Prinzip treu sein werden. Doch wenn die Schweinereien gegenüber uns weitergehen, wird man die Menschen kaum noch stoppen können. Und ich befürchte, dass die Situation außer Kontrolle geraten könnte.

Was verstehen Sie unter Schweinereien seitens der russischen Behörden?

Das Himmelschreiendste ist, dass man den Menschen jetzt sagt: Ihr seid jetzt russische Bürger und müsst die ukrainische Staatsbürgerschaft ablegen! Wenn ihr sie nicht ablegt, werdet ihr zu Ausländern und müsst eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Doch warum denn sollen wir auf unserer Erde eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen? Wie konnten wir in unserer Heimat zu Ausländern werden?

6. Mai 2014 // das Interview führte Illja Schepelin

Quelle: Slon

Übersetzer:    — Wörter: 1709

Diplom-Physiker, Fachübersetzer für IT, Wissenschaft und Technik (BDÜ), Ehrenvorstand des Trägervereins der Deutschen Schule Kiew

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