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So sieht ein Ausnahmezustand aus – zehn Gesetzesänderungen, die die Ukraine verändern werden

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Die heute von der regierungstreuen Mehrheit verabschiedeten Gesetze sind im Falle ihrer Unterzeichnung durch den Präsidenten geeignet, Hunderttausende Bürger zu kriminalisieren.

www.liga.net

Die präsidententreue Mehrheit im ukrainischen Parlament hat heute zehn Gesetze verabschiedet, deren Folgen für die Ukraine die Auswirkungen der im Jahr 2010 nach dem Wahlsieg von Wiktor Janukowitsch bei den Präsidentenwahlen vorgenommenen Änderungen an der Verfassung von 1996 und die Folgen der Nichtunterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU noch weit in den Schatten stellen werden. Die Verabschiedung der Gesetze, die die Bürgerrechte und -freiheiten auf eine für die Ukraine beispiellose Weise einschränken, erfolgte in einem zweifelhaften Verfahren – durch einfaches Händeheben (das heißt ohne Registrierung der Stimmen durch das elektronische Abstimmungssystem „Rada“), ohne ordnungsgemäße Auszählung der erhobenen Hände und unter Ausschluss der Abgeordneten der Opposition. Die Gesamtheit der Maßnahmen zur Beschränkung der Bürgerrechte und -freiheiten erinnert stark an die Verhängung eines Ausnahmezustands, doch mit einer wesentlichen Besonderheit: Anders als ein Ausnahmezustand, der vorübergehender Natur ist, werden die heute beschlossenen Rechtsnormen dauerhaft rechtswirksam bleiben.

Das Dokument mit den meisten der von der regierenden Partei eingeführten Neuerungen ist das Gesetzesvorhaben Nr. 3879 „Über die Einführung von Änderungen am Gesetz der Ukraine „Über das Gerichtswesen und den Status der Richter“ und den Prozessgesetzen über zusätzliche Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung“. Autoren des Gesetzesvorhabens sind die Abgeordneten der Partei der Regionen Wladimir Olijnyk und Wadim Kolesnitschenko. Vor dem Lichte der Bestimmungen aus diesem Gesetz verblasst sogar die Verabschiedung des Staatshaushaltes für 2014, der ohne Debatte und ohne Änderungen angenommen wurde.

Üble Nachrede – ein kriminelles Delikt

Der erneuerte Paragraf des Strafgesetzbuches sieht für üble Nachrede Bestrafung in Form von Geldstrafen, Besserungsarbeit und Freiheitsentzug vor.

Als üble Nachrede gilt die Verbreitung von wissentlich falschen Angaben, die den Ruf und die Würde einer anderen Person schädigen.

Strafprozess ohne den Beklagten

Das ebenfalls verabschiedete Gesetz „Über Änderungen an der Strafprozessordnung der Ukraine (hinsichtlich Strafverfahren bei Abwesenheit des Beklagten)“ sieht die Durchführung eines „Verfahrens bei Abwesenheit des Beklagten“ vor, wenn ein Verdächtiger oder Beklagter einer Vorladung zum Verhör durch Miliz oder Staatsanwaltschaft oder einer Vorladung vor Gericht nicht nachkommt. Bekanntermaßen hat sich die Ex-Premierministerin Julia Timoschenko in der Vergangenheit mehrfach geweigert, in ihrem Verfahren vor Gericht zu erscheinen.

Helme, Masken und Autokolonnen – alles illegal

Verschärft wurden die Beschränkungen zur Durchführung von Massendemonstrationen. Für das Aufstellen von Zelten, das Tragen von Masken und Helmen auf dem Maidan (Unabhängigkeitsplatz) und anderswo drohen nun bis zu 15 Tage Freiheitsentzug. Das Fahren in einer Autokolonne aus mehr als fünf Autos ohne Genehmigung des Innenministeriums wird mit 40 bis 50 Pfändungsfreibeträge/steuerfreien Mindesttagessätzen (derzeit 680 bis 850 Hrywnja, etwa 60 bis 75 Euro) sowie ein bis zwei Jahren Führerscheinentzug unter Konfiszierung des Fahrzeugs bestraft.

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Extremismus

Das Strafgesetzbuch erhält einen neuen Paragrafen über extremistische Aktivität. Unter extremistischer Aktivität versteht der Paragraf die Erstellung, Aufbewahrung und Verbreitung extremistischer Materialien, insbesondere über Massenmedien. Extremistische Aktivität wird künftig mit 200 bis 800 Pfändungsfreibeträge (derzeit 3.400 bis 13.600 Hrywnja, 300 bis 1.200 Euro) bestraft. Im Wiederholungsfalle droht eine Geldstrafe in Höhe von 1.000 bis 3.000 Pfändungsfreibeträge (derzeit 17.000 bis 51.000 Hrywnja, 1.500 bis 4.500 Euro) und bis zu drei Jahre Freiheitsbeschränkung oder Freiheitsentzug.

Unter Extremismus versteht das verabschiedete Gesetz unter anderem auch Aufrufe zum Sturz der Verfassungsordnung oder der Regierung.

Faschismus

Nach dem geänderten Strafgesetzbuch gelten nun auch die Leugnung oder Rechtfertigung faschistischer Verbrechen, die Verbreitung neonazistischer Ideologien und die Herstellung und Verbreitung von Materialien, in denen die Verbrechen von Faschisten und ihrer Anhänger gerechtfertigt werden, als Straftat.

Ein Verstoß gegen dieses Gesetz – und als solcher ließe sich, wenn man nur will, die gesamte Tätigkeit der im Parlament vertretenen Oppositionspartei „Swoboda“ (Freiheit) auffassen – wird mit bis zu zwei Jahren Freiheitsbeschränkung oder Freiheitsentzug sowie Geldstrafen von 500 bis 1000 Pfändungsfreibeträge (derzeit 8.500 bis 17.000 Hrywnja, 750 bis 1.500 Euro) geahndet.

Kein Sterbenswörtchen über die Miliz

Für die Sammlung vertraulicher Informationen über Mitarbeiter der Ordnungskräfte drohen Aktivisten im Falle einer Inkraftsetzung des Kolesnitschenko-Olijnyk-Gesetzes empfindliche Strafen von 200 bis 400 Pfändungsfreibeträge (3.400 bis 6.800 Hrywnja, 300 bis 600 Euro), bis zu einem Jahr Besserungsarbeit oder bis zu sechs Monate Inhaftierung.

Außerdem wurden Änderungen am Paragrafen 345 des Strafgesetzbuches „Bedrohung oder Gewaltanwendung gegenüber Mitarbeitern der Ordnungskräfte“ vorgenommen. Auf die Bedrohung von Leib und Leben eines Mitarbeiters der Ordnungskräfte oder eines engen Verwandten oder Familienangehörigen stehen nun drei bis sieben Jahre Freiheitsbeschränkung.

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Verschärft wird die strafrechtliche Verantwortung für gemeinschaftliche Störungen der öffentlichen Ordnung. Handlungen, die zu einer groben Störung der öffentlichen Ordnung oder einer Störung des öffentlichen Verkehrs oder der Arbeit von Unternehmen, Einrichtungen oder Organisationen führen, sowie die aktive Teilnahme an solchen Handlungen werden mit 150 bis 250 Pfändungsfreibeträge (2.550 bis 4.250 Hrywnja, 225 bis 376 Euro), bis zu sechs Monate Inhaftierung oder bis zu zwei Jahre Freiheitsentzug geahndet.

Ausländische Agenten

Neu in die Gesetzgebung eingeführt wird der Begriff des „ausländischen Agenten“ als Klassifizierung für Vereine und NGOs. Die Rede ist von westlichen Geldgebern, ihren Strukturen in der Ukraine und von ukrainischen NGOs, die von diesen Organisationen materielle Zuwendungen erhalten und im Bereich der Entwicklung von Instituten der bürgerlich-freiheitlichen Gesellschaftsordnung in der Ukraine tätig sind. Diese bisher von der Gewinnsteuer befreiten NGOs werden künftig steuerpflichtig.

Außerdem sind ausländische Agenten verpflichtet, monatlich Bericht über die personelle Besetzung ihrer leitenden Organe zu erstatten und Informationen über den Umfang der aus ausländischen Quellen erhaltenen Mittel sowie deren geplante Verwendung vorzulegen.

Räumung der Blockaden vor den Villen

Für öffentliche Aufrufe zur Blockade von Wohnhäusern und Gebäuden können bis zu fünf Jahre Freiheitsbeschränkung zwei bis sechs Jahre Freiheitsentzug verhängt werden. Diese Strafe droht zum Beispiel Teilnehmern der Protestaktionen vor den Wohnungen und Häusern von hochrangigen Staatsdienern, Richtern, Politikern und Oligarchen.

Einschränkung der Arbeit von Internetmedien

Die Tätigkeit von Internetmedien, die nicht als „Nachrichtenagenturen“ registriert sind, wird untersagt. Bei Verstoß drohen 600 bis 1.000 steuerfreie Mindesttagessätze (derzeit 10.200 bis 17.000 Hrywnja, 900 bis 1.500 Euro) und Konfiszierung der Medien und der Mittel zu ihrer Herstellung, im Wiederholungsfalle 1.000 bis 2.000 steuerfreie Mindesttagessätze (17.000 bis 34.000 Hrywnja, 1.500 bis 3.000 Euro). Unter den Paragrafen fällt die Mehrheit aller ukrainischen News-Ressourcen.

Schutz der Richter

Ähnlich wie bei den Bestimmungen hinsichtlich der Ordnungskräfte stehen auch auf die Sammlung von Informationen über Richter, ihre engen Verwandten und Familienangehörigen und auf die Verbreitung dieser Informationen Strafen in Höhe von 300 bis 500 Pfändungsfreibeträge (5.100 bis 8.500 Hrywnja, 450 bis 750 Euro), bis zu zwei Jahren Besserungsarbeit, bis zu sechs Monaten Inhaftierung oder bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug.

Rehabilitation der Sondereinheit „Berkut“

Unterzeichnet Präsident Janukowitsch die heute verabschiedeten Änderungen an dem sogenannten „Gesetz über Amnestierung der Teilnehmer an Protestaktionen“, werden die Kämpfer der Sondereinheit „Berkut“ (Steinadler) für ihre Anwendung von Gewalt gegenüber Studenten, Journalisten und anderen friedlichen Bürgern auf dem Unabhängigkeitsplatz und der Bankowa-Straße nicht bestraft werden. Das Dokument amnestiert Beteiligte an den Ereignissen, denen Verstöße gegen die Paragrafen „Vorsätzliche Körperverletzung mittleren Schweregrads“ (§ 122) und „Verhinderung der professionellen Berufsausübung von Journalisten“ (§ 171) vorgeworfen werden. Bekanntermaßen waren am 1. Dezember mehr als 40 Journalisten von Berkut-Kämpfern verletzt worden.

Rechenschaftspflicht der Telefonprovider

Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen (insbesondere Internetprovider und Mobilfunkanbieter), bei denen eine Kennkarte (SIM-Karte u. a.) zum Einsatz kommt, werden verpflichtet, Verträge mit ihren Kunden abzuschließen. Der Erwerb einer SIM-Karte egal welches Providers ohne Vorlage des Personalausweises wird künftig unmöglich sein. Als Sinn des Gesetzes zeichnet sich ab, dass die staatlichen Organe auf Anfrage von den Betreibern Angaben zu ihren Kunden einholen können.

16. Januar 2014 // Roman Tschernyschew

Quelle: Liga.net

Übersetzer:    — Wörter: 1263

Diplom-Physiker, Fachübersetzer für IT, Wissenschaft und Technik (BDÜ), Ehrenvorstand des Trägervereins der Deutschen Schule Kiew

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