OK!

Diese Website setzt Cookies für personalisierte Werbung und statistische Zwecke ein und es werden Daten zeitweilig gespeichert. Mehr Informationen zum Datenschutz

FacebookXVKontakteTelegramWhatsAppViber

Über Legitimität und Moral

Eine ausgesprochen undankbare Sache ist es, die europäischen und andere westliche Politiker und Diplomaten dafür zu rügen, dass sie die Maidan-Interessen nicht heftig genug verteidigen (wie das sicher der Wunsch der Maidanteilnehmer wäre). Ich persönlich hege keine Zweifel daran, dass ohne ihre Anteilnahme unvergleichlich mehr Blut in der Ukraine vergossen würde und die Repressionsmaschine, wie beim Duvalier-Regime gewütet hätte. Nichtsdestotrotz bestimmt die Haltung der europäischen Diplomaten ein gewisser Umstand, der es nicht zulässt, dass sie die Situation adäquat einschätzen. Mit dem Umstand meine ich das Verständnis des Legitimitätsgrades der Gegenkräfte.

Mit ihrer Einschätzung des Maidans sollte man wahrscheinlich einverstanden sein – es ist in der Tat ein Volksprotest (bzw. Aufstand) gegen die Regierungspolitik. Es ist wahr, dass die Menschen, die auf dem Maidan stehen, von keinem erwählt worden sind. Auch über den Grad ihrer Unterstützung seitens der ukrainischen Bevölkerung kann man nur nach soziologischen Angaben schließen. Wahr ist auch, dass die Einwohner verschiedener Regionen der Ukraine auf dem Maidan ungleichmäßig vertreten sind. Es gibt nämlich Territorien, die aktiv an den Protesten teilnehmen, und es gibt andere, die schweigsam oder eher neutral sind. Offensichtlich ist nur, dass es nur wenige Menschen gibt, die die Regierung unterstützen, was sie wenn, in der Regel, aus Angst oder für Geld tun.

Unsere Differenzen mit den europäischen Politikern beginnen bei der Einschätzung des zweiten Subjekts der Konfrontation. Von ihnen wird es für die legitime Macht in der Ukraine gehalten, und legitim ist sie wohl nicht, obgleich sie über einige äußere Merkmale der Legitimität verfügt.

Die Tatsache ist wie folgt: vor etwa vier Jahren wurde in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt. Lassen wir heute die Wunder der Wählerschaftsaktivitäten in den bevölkerungsreichsten Regionen beiseite. Zu erwähnen wäre nur die Geschichte mit der Verdoppelung der Wählerzahl in den letzten paar Stunden der Wahl in den Wahllokalen. Lassen wir auch die Tatsache aus, dass der Präsident mit halb soviel Vollmachten gewählt wurde, unter der Regierung von Julia Timoschenko und einer Timoschenko-Mehrheit im Parlament, die plötzlich stark abschmolz. Wollen wir hier auch über die Verfassungsänderung per Gerichtsentscheid aus technischen Gründen schweigen. Schweigen wir auch darüber, dass vier Jahre eine lange Zeit sind, besonders in Anbetracht des drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der politischen Massenproteste. Wobei jeder normale Präsident seine Kandidatur im solchen Fall wieder zur Wahl stellen sollte, um sein Regierungsmandat zu bestätigen. Lassen wir all das für die Reinheit der Argumentation beiseite.

Hier erwähnen wir also nur, dass vor einigen Jahren ein legitimer Präsident in der Ukraine gewählt wurde. Heißt es nun, dass es im Land heutzutage eine legitime Macht gibt? Von wegen. Der Präsident ist nur ein Teil der Macht. Legitim macht ihn nicht die (quasi-) lautere Abstimmung, sondern eine legitime Mitwirkung mit den beiden anderen Gewalten. Und gerade hier ist alles noch weniger redlich.

Seit einiger Zeit (genauer: seit dem Verabschieden der „diktatorischen“, heute bereits aufgehobenen Gesetze), ist es seltsam, von einer souverän funktionierenden Legislative zu sprechen. Die Gesetze sind verfassungswidrig, weil sie offensichtlich und sehr stark die durch die Verfassung garantierten Bürgerrechte einschränken. Auch die ganze Abstimmungsprozedur im Parlament war eine schreiende Verfassungsverletzung: die Gesetze wurden in den Parlamentsausschüssen nicht besprochen, die Abgeordneten haben den Text der Gesetzprojekte nicht gesehen, für die Gesetze wurde der Geschäftsordnung und dem Gesetz zuwider per Handzeichen abgestimmt und danach wurden die Stimmen auf die schimpfliche und betrügerische Weise, die man sich nur vorstellen kann, gezählt. Die Gesetze wurden aber trotz allem verabschiedet und sind in Kraft getreten, was eine absolute Unterwerfung der Legislative dem Präsidenten bewies.

Die Situation der anderen Gewalt, der Judikative, ist noch schandhafter. Der Gipfel seiner Servilität ist die bereits erwähnte Abschaffung der sechs Jahre lang gültigen Verfassung, die Abänderung der Wahl zum Kiewer Stadtrat, auch wenn dessen Vollmachten, die nach der Verfassung fünf Jahre gelten, längst abgelaufen sind. Das ukrainische Gerichtssystem hat auch einiges vorzuweisen: dazu gehören etwa fast hundertprozentige Schuldsprechungen, Versammlungsverbot im Stadtzentrum für den Aufbau eines Weihnachtsbaums, die Aberkennung von Abgeordnetenmandaten ein halbes Jahr nach der Wahl und anderes mehr. Sogar Unterbindungsmaßnahmen gegen Teilnehmer der Massenproteste, welche die Staatsmacht exemplarisch bestraft, werden irgendwo in den Tiefen des Präsidialamtes bestimmt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Richterin, die es wagte, für vier festgenommene Studenten Hausarrest statt „normaler“ Haft zu verordnen, gleich am Tag darauf ihre Stelle einbüßte (offiziell kündigte sie auf eigenen Wunsch, A.d.R.). In der Ukraine gibt es kaum einen geistig gesunden Menschen, der sich im Ernst eine Situation vorstellen kann, in der ein beliebiges Gericht eine Entscheidung gegen den Willen der politischen Staatsführung treffen würde.

Folglich gibt es heute in der Ukraine keine unabhängige Rechtsprechung, wie auch kein unabhängiges Parlament. Die beiden Gewalten wurden durch die Exekutive usurpiert. So hat die Präsidialmacht unrechtmäßig ihr nicht eigene Vollmachten übernommen, und damit nicht nur diese beiden Gewalten, sondern sich auch selbst der Legitimität beraubt! Und wem auch immer die Präsidialmacht ihre Befehle verordnet, ist es lediglich das Recht der Gewalt.

Anders gesagt gibt es heute im Land zwei Kräfte. Die eine befindet sich im Regierungsviertel, die andere steht auf dem Maidan. Der Legitimitätsgrad beider Kräfte ist gleich. Mit dem Unterschied, dass der Grad der Moral bei den Aufständischen ungleich höher ist. Und nur davon sollte man ausgehen, wenn man den Konflikt in Kiew bewertet.

11. Februar 2014 // Karl Woloch, politischer Beobachter und Blogger

Quelle: Facebookeintrag

Den täglichen oder wöchentlichen Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben!

Übersetzung: Chrystyna Nasarkewytsch

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Bluesky, Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und täglich oder wöchentlich per E-Mail.

Artikel bewerten:

Rating: 6.3/7 (bei 3 abgegebenen Bewertungen)

Neueste Beiträge

Aktuelle Umfrage

Werden die von Trump eingeleiteten Friedensgespräche erfolgreich sein?
Interview

zum Ergebnis
Frühere Umfragen
Kiewer/Kyjiwer Sonntagsstammtisch - Regelmäßiges Treffen von Deutschsprachigen in Kiew/Kyjiw

Karikaturen

Andrij Makarenko: Russische Hilfe für Italien

Wetterbericht

Für Details mit dem Mauszeiger über das zugehörige Icon gehen
Kyjiw (Kiew)9 °C  Ushhorod15 °C  
Lwiw (Lemberg)13 °C  Iwano-Frankiwsk12 °C  
Rachiw9 °C  Jassinja9 °C  
Ternopil11 °C  Tscherniwzi (Czernowitz)12 °C  
Luzk13 °C  Riwne12 °C  
Chmelnyzkyj10 °C  Winnyzja9 °C  
Schytomyr8 °C  Tschernihiw (Tschernigow)6 °C  
Tscherkassy9 °C  Kropywnyzkyj (Kirowograd)7 °C  
Poltawa6 °C  Sumy6 °C  
Odessa13 °C  Mykolajiw (Nikolajew)9 °C  
Cherson10 °C  Charkiw (Charkow)8 °C  
Krywyj Rih (Kriwoj Rog)9 °C  Saporischschja (Saporoschje)9 °C  
Dnipro (Dnepropetrowsk)8 °C  Donezk10 °C  
Luhansk (Lugansk)7 °C  Simferopol7 °C  
Sewastopol11 °C  Jalta11 °C  
Daten von OpenWeatherMap.org

Mehr Ukrainewetter findet sich im Forum

Forumsdiskussionen

„Hallo liebe Forengemeinde und Mitleser, ich bin gerade auf einem Kurztripp durch die Ukraine. Es ist wunderschön wieder hier zu sein. Es fehlen die Touristen, gestern habe ich einen persönlichen und...“

„Kurzer Bericht, hab dann doch den Wachwechsel erwischt, bei den Polen ging dann bestimmt 45 Minuten gar nix. Und dann wurde in zwei Schüben eingelassen, ich finde, dann ging es in einem guten Tempo voran....“

„Bin jetzt da, 10 PKW vor mir, das ist akzeptabel, ist ja auch der 1.Mai. Bin zufrieden mit der Situation. @Frank Fahre immer noch ein schwarzes Auto... kennst doch meine Erfahrung mit der Polizei in UA...Kaffeebraun...“

„Probier doch einfach. Wenn der offen ist doch alles ok. Bin da glaube mal zurück drüber gefahren. War dann nur eine ewige Kurverei bis zur A4. Bin da aber eh erstmal bis Krakau. Kann natürlich auch...“

„Schade, dass es keine Info´s zu Zosin gibt, wer aber noch was weiß, bitte schreiben, ich fahre jetzt in 30 Minuten los und kann immer noch in ca. 10h bei einem Stopp nochmals nachlesen. Google Maps schickt...“

„Diesen Grenzübergang hatte ich schon auf dem Schirm, kenne ihn nur noch nicht. Kann jemand noch etwas zu Zosin sagen, wäre ja auch machbar oder lieber nicht? Vielen Dank Bernhard.“

„Hallo Bernd Es hängt etwas davon ab, wohin Du in Ukraine fahren möchtest. So wie es scheint möchtest Du (wie ich normalerweise) in Richtung Kiew fahren. Ich benütze deshalb seit Jahren den Übergang...“

„Ergänzend, möchte nach Luzk fahren, ist ja sicherlich nicht uninteressant für einen Ratschlag.“

„Möchte morgen über Nacht in die Ukraine fahren und plane die Ankunft an der Grenze sehr früh am Morgen. Fahre entweder über Polen oder ggf. über Tschechien, je nachdem was google maps empfiehlt. Normalerweise...“

„Das ist ein simples D-Visum, wie man es auch in Deutschland für die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung braucht. Man benötigt dazu keine Mindestaufenthaltszeit. Auch bei der Aufenthaltserlaubnis...“

„Zunächst möchte ich sagen, daß die PKP für die Sitzplatzzüge, die zum Beispiel von Kattowitz bis nach Przemysl fahren, die Preise nicht erhöht hat. Allgemein gilt die Polnische Staatsbahn eher als...“

„"Warum verlangt die PKP von den Fahrgästen solch einen Preis ?" - Weil sie es können ... Die Nachfrage dürfte weiter hoch sein und weil es keine vergleichbaren Alternativen gibt (Buslinien über Nacht...“

„Die Polnische Staatseisenbahn PKP Intercity S.A. erhöhte für den Schlafwagen-Zug D 68 am 1. Februar 2025 die Fahrpreise um + 38 Prozent. : Vom Warschauer Ostbahnhof fährt abends um 17.49 Uhr der Schlafwagen-Zug...“

„Hallo. Meine Ex-Frau ist schon über 22 Jahre in Deutschland. Jetzt benötigt sie einen Termin für das Konsulat. Aber es werden nur Termine über Diia vergeben. Kann uns jemand erklären wie das genau...“

„Hallo..... Ich benötige nochmals euer Schwarmwissen.... Bin seit Dezember letzten Jahres in der Ukraine verheiratet worden Jetzt meine Frage.....ich habe auf der Seite der ukrainischen Botschaft einen...“