In den kommenden Monaten können wir alle Zeugen einer neuen Propaganda-Kampagne werden, deren Ziel im Erwachen eines Konflikts zwischen der krimtatarischen Elite und der ukrainischen Führung besteht.
Die letzten Auftritte Lenur Isljamows, der erklärte, dass die Ukraine den Krimtataren eine große Summe Geld schuldet, nämlich dafür, dass die „ukrainische Armee im Jahr 2014 von der Halbinsel floh und die Hosen herunterließ“ und die von den führenden russischen Propagandaflächen massenhaft vervielfältigt wurden, könnten von Erscheinen eines neuen „Anführers“ und dem Beginn einer diesbezüglichen Kampagne zeugen.
Mehr als zwei Jahre nach der Annexion der Krim durch die Russische Föderation bleiben die unabhängigen Führer der krimtatarischen Bevölkerung wie früher ein großes Problem für den Kreml. Deren aktive internationale Tätigkeiten lassen das Krim-Problem nicht von der Tagesordnung der Welt verschwinden, und in den Momenten, in denen es den krimtatarischen Politikern und Aktivisten gelingt, ihre Aktivitäten in effektive Übereinstimmung mit dem offiziellen Kiew zu bringen, in erster Linie mit den Diplomaten und Parlamentariern, ist der politische und der Image-Verlust für Russland besonders unangenehm. Der Sieg Dschamalas (Jamalas) bei der Eurovision 2016 kam Moskau gerade recht. Ich sage das ohne Scherz, weil er den russischen Propagandisten erlaubte, gleich mehrere Schlüsse daraus zu ziehen.
Die erste Schlussfolgerung ist, dass die konsequenten Bemühungen der krimtatarischen Führer Europa und die Welt dazu zwangen, ihre Aufmerksamkeit auf die Verletzung der Rechte der krimtatarischen Bevölkerung auf der annektierten Krim zu lenken. Mehr noch, gerade der Faktor der Repression aufgrund ethnischer Zugehörigkeit trat an erste Stelle bei der Bewertung der Situation vonseiten der europäischen Beamten, der Medien und der Vertreter der bürgerlichen Gesellschaft. Das Problem der aktiven Militarisierung der Halbinsel und die Verletzung der Regeln und Normen des internationalen Rechts bei der Annexion der Krim durch Russland werden alle noch diskutiert, aber auf dem Feld der weltweiten Informationen tauchen viel häufiger Fakten über die Verfolgung der Krimtataren auf, begann man aktiv auf Informationen über den diskriminierenden Charakter vieler Entscheidungen der Okkupationsregierung auf der Krim und des Rechtssystems gegenüber den Vertretern der krimtatarischen Bevölkerung einzugehen.
Nicht zuletzt nutzt dies auch Pjotr Poroschenko, der auf der internationalen Bühne immer häufiger über die Krim, insbesondere im Zusammenhang mit der Beschneidung der Rechte der Krimtataren und mit Menschenrechtsverletzungen spricht, indem er die Krimfrage im der internationalen Bürokratie verständlichen Rahmen aktualisiert. Man kann mit großer Sicherheit sagen, dass dies eine effektive Taktik ist, wie auch der Grund besonderer Aufmerksamkeit und Beunruhigung für die russische Seite.
Eine weitere Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der ersten Hälfte dieses Jahres ist, dass die krimtatarischen Eliten effektiv und ausreichend unabhängig vom offiziellen Kiew die außenpolitische Kommunikation mit vielen einflussreichen muslimischen Gemeinschaften der Länder der Europäischen Union aufgenommen haben.
Diese Kommunikation hat den Charakter eines ziemlich geschlossenen Netzes, aber in der Frage des Lobbyismus und der Berücksichtigung der Interessen der krimtatarischen Bevölkerung beginnen sich schon positive Effekte zu zeigen. Der Triumph Dschamalas war teilweise auch das Ergebnis einer guten Netzwerkarbeit. Und wenn dieses Modell seine Wirksamkeit an ähnlichen Beispielen beweist, so kann man fest daran glauben, dass es auch in der politischen Sphäre Ergebnisse liefert.
Die russische Seite spürt sehr deutlich den Trend einiger Enttäuschungen aufseiten der krimtatarischen Führer über die Passivität der ukrainischen Regierung in Bezug auf die Krim-Probleme. Das Fehlen geeigneter Mittel für die Lösung des Problems der Okkupation der Halbinsel beim offiziellen Kiew, einer klaren Strategie, und das faktische Einverständnis mit der heutigen Lage der Dinge (was selbstverständlich auf offizieller Ebene niemals zugegeben werden wird) ist eine gute Voraussetzung für den Beginn einer Kampagne, die einen Keil zwischen den ukrainischen Staat und den Teil der krimtatarischen Elite treiben soll, die die Okkupationsregierung der Halbinsel nicht anerkennt.
Das Niveau dieser Enttäuschungen ist bisher nicht kritisch, aber es ist der Punkt, an dem in den kommenden Monaten die russische Propaganda und alle dazu gehörenden Kanäle potenziell schmerzhafte Schläge ausführen können.
Die Erklärung Isljamows über eine finanzielle Kompensation für die Krimtataren ist nicht die Einzige in dieser informationellen Reihe. Ende letzter Woche verbreiteten einige russische Quellen die Erklärung des Vorsitzenden des staatlichen Komitees für internationale Beziehungen und deportierte Bürger der Krim Saur Smirnow darüber, dass die Krimtataren, die auf dem Gebiet der Russischen Föderation leben, in Kürze eine föderale national-kulturelle Autonomie begründen, in Analogie zur national-kulturellen Autonomie der Krimtataren, die auf der Krim bereits existiert. Nach den Worten Smirnows werden regionale Autonomien der Krimtataren auch in Moskau, Sankt Petersburg und im Astrachaner Gebiet geschaffen.
Die betreffende Erklärung zeugt davon, dass die russische Regierung in letzter Zeit die systematische Arbeit an der Schaffung einer alternativen Realität aktiviert hat, die dazu berufen ist, in Kürze der Welt die konstruktive und freundliche Haltung Moskaus gegenüber der krimtatarischen Bevölkerung zu demonstrieren. Nun und Kiew, dessen Armee nach den Worten Lenur Isljamows die Krimtataren im bedeutendsten Moment verlassen hat, ist in dieser Realität die Rolle des Feindes und Verräters zugedacht.
Andererseits zeugen diesbezügliche Anstrengungen Moskaus davon, dass ungeachtet aller Unumkehrbarkeit, Passivität und Bürokratie der ukrainischen Regierung im Voranbringen des Themas der Deokkupation der Krim und des ungenügenden Niveaus der Zusammenarbeit zwischen dem offiziellen Kiew und der krimtatarischen Elite bei dieser Frage, macht diese Verbindung Russland wie früher zu schaffen und Probleme auf der internationalen Bühne. Und deshalb ist es sowohl für Kiew als auch für die Führer der krimtatarischen Bevölkerung wichtig, im Prozess der Verteidigung ihrer Rechte und Interessen nicht nachzulassen.
17. Juni 2016 // Jewgenij Kurmaschow, Direktor des politischen Programms Gorshenin Institut
Quelle: Lewyj Bereg
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