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Die goldene Mitte

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In der Ukraine geht ein Gespenst um – das Gespenst des Separatismus.

Wie auch anzunehmen war, haben die skandalösen Charkower Vereinbarungen ein plötzliches Aufplätschern spalterischer Stimmungen provoziert.

In den letzten Monaten stürzte eine ganze Reihe von Publikationen über die zivilisatorische Unvereinbarkeit von Ost und West und die Unumgänglichkeit einer friedlichen Trennung, die nicht zum optimalen Ausweg aus der höchst schwierigen Situation werden kann, auf uns ein.
Wahrscheinlich war der romantische Slogan „Osten und Westen gemeinsam“ nie so weit von der Realität entfernt. Die Apologeten und Gegner der neuen Machthaber tun alles Mögliche, um bürgerliche Positionen durch ethno-kulturelle Identität zu ersetzen und jegliche politische Auseinandersetzung in Richtung „Donezk vs. Galizien“ zu lenken.

Und mancher versucht bereits, wirtschaftliche Motive für die Idee einer Spaltung zu nutzen: Wenn man im Osten schon seit Urzeiten mit der sakramentalen Losung „Das Donbass ernährt die Ukraine!“ arbeitet, so erinnert man sich im Westen immer häufiger des Schiefergases, welches zum neuen Gold des Hetmans Polubotok zu werden droht…

Heute ist das Gerede von der unausweichlichen Teilung nur die Phantasie nervöser Intelligenzler, die über den pro-russischen Politiker Janukowitsch empört sind. Aber leider erkämpfen sich marginale Ideen in unserem Land mit beneidenswerter Leichtigkeit und Geschwindigkeit gesellschaftliche Anerkennung.

So waren die Heroisierung Stepan Banderas oder ein Denkmal für den Genossen Stalin in Saporoschje vor fünf Jahren noch schwer denkbar. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass der spalterische Trend in naher Zukunft von ambitionierten Politikern, die nach Macht dürsten und keine anderen Mittel finden, aufgegriffen wird.

Wir können nicht vorhersagen, was morgen geschehen wird. Eines schönen Tages könnte das extreme Szenario eines Zerfalls der Ukraine Wirklichkeit werden, so dass man es bereits ernsthaft analysieren sollte.

Wenn wir so verschieden sind und eine zivilisierte und unbedingt reibungslose Trennung möglich ist, warum gehen wir dann nicht in Frieden auseinander? Aber, wie der Autor dieser Zeilen schon einmal feststellen durfte, haben wir es nur mit einer weiteren Utopie zu tun. Die hausbackenen Theoretiker des Zerfalls sollten bald ihre rosaroten Brillen abnehmen.

Die ausländische und heimatliche Erfahrung beweist, dass für eine friedliche Trennung eine ganz bestimmte Voraussetzung nötig ist: Eine absolut klare Grenze, die beide Seiten anerkennen.

So war es in Tschechien und der Slowakei, in Serbien und Montenegro, aber in der Ukraine ist nichts derartiges festzustellen. Einer von uns möchte das Land an den Grenzen der Rzeczpospolita in der Mitte des 17ten Jahrhunderts teilen, ein anderer an jenen der UdSSR des Jahres 1939. Ist die Streuung hier nicht ein wenig zu groß, liebe Freunde?

Die Existenz zweier verschiedener Ukraine ist unumstrittener Fakt, aber die Grenze zwischen ihnen wirkt nur auf der Wählerkarte klar und schön, und selbst das nur auf den ersten Blick.
Um welche genaue Grenze kann es gehen, wenn in den Gebieten Poltawa und Kirowograd Viktor Fedorowitsch fast vierzig Prozent der Stimmen gewinnen konnte, und Julia Timoschenko etwas mehr als fünfzig?

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Aber sogar in den grenznahen Gebieten, in denen sich eine drückende Mehrheit formiert hat, gibt es auch eine aktive Minderheit, die den neuen Status ihrer kleinen Heimat nur schwerlich hinnehmen würde.

Kiew, Dnjepropetrowsk und Charkow würden unausweichlich zu Steinen des Anstoßes.

Beim Versuch einer Teilung würden beide Seiten rebellierende Enklaven mit tausenden von aufgeregten Bürgern erhalten. Die heimatlichen Separatisten-Träumer sollten einen Blick auf das serbische Mitrovica werfen, das sich beharrlich gegen eine Existenz im selbsternannten Staat Kosovo wehrt.

Ist es möglich, dass irgendjemand an die befriedende Kraft von Referenden glaubt? Nehmen wir nur ein lehrreiches Beispiel aus der amerikanischen Geschichte.

Im Jahre 1854 brachte eine Gruppe von Politikern einen vollkommen demokratischen Gesetzentwurf in den Kongress ein – die Bewohner der neuen Territorien, welche Bestandteil der USA geworden waren, erhielten das Recht, selbstständig über die Frage des Status der zukünftigen Staaten zu entscheiden – Freiheit oder Sklaverei.

Die Neuerung wurde in Kansas erprobt und führte eben dort zu Massenunruhen.

Zur Abstimmung über den Status strömten tausende von Sklavenhaltern aus dem Süden und freien Siedlern aus dem Norden. Die Willensäußerung des Volkes, welche Schlägereien und Schießereien nach sich zog, führte zu einem natürlichen Ergebnis: In Kansas entstanden zwei gesetzgebende Versammlungen, von denen eine den Staat als frei proklamierte, während die andere die Sklaverei ausrief…

Nehmen wir an, dass unverantwortliche Politiker die Ukraine wirklich zum Zerfall führen. In diesem Falle würde die geladene Atmosphäre keine anständige und zivilisierte Regulierung der Teilungsfrage zulassen.

Wenn geniale Köpfe eine friedliche Trennung inszenieren, erhalten wir eine Reihe ukrainischer „Kansas“ gemischt mit heimatlichen „Mitrovicas“, nach denen der Scheidungsprozess von allein aufhört, friedlich und wohlanständig zu sein.

Ein hypothetischer Zerfall des Landes wird schwerlich Iwano-Frankowsk und Lugansk einen Schlag versetzen. Anarchie, Chaos, wirtschaftlicher Kollaps und Massenunruhen sind die Reize, welche die zentralen Gebiete der Ukraine treffen würden.

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Eine solche Spezifik weisen alle Grenzgebiete auf: Solange das Land geeint bleibt, spielen sie eine konsolidierende Rolle, aber sobald der Zerfall kommt, findet man dort die Hauptherde für Gewalt und Unruhe.

Nun ja, die Rettung der Ertrinkenden liegt in den Händen der Ertrinkenden selbst. Die zentralen Regionen sind mehr als alle anderen an der Erhaltung der ukrainischen Staatlichkeit interessiert. Und das entscheidende Wort in der Diskussion „Einheitliches Land – to be or not to be?“ liegt ebenfalls bei ihnen.

Die neuere Geschichte der Ukraine zeigt: So passioniert man in Galizien und dem Donbass auch sein mag, das Tüpfelchen auf das „i“ wird letztlich vom Zentrum gesetzt.

Im Jahr 2004 haben die zentralen Gebiete unter der Führung Kiews den Sieg der orangen Revolution ermöglicht und Viktor Juschtschenko an die Macht gebracht.

In den Jahren 2006 und 2007 gründete sich der Triumph der unvergleichlichen Julia Wladimirowna auf die Unterstützung des Zentrums.

Schlussendlich bestimmten die zentralen Regionen 2010 den Sieg Janukowitschs durch die geringe Wahlbeteiligung bzw. die Stimmabgabe „gegen alle“.

Ob sich die Spaltung der Heimat vertieft, hängt wesentlich von der Position des Zentrums ab. Sollte es zum Schlachtfeld zwischen den „Donezkern“ und den „Lwowern“ werden, ist die Ukraine verloren.

Aber das Zentrum könnte auch in die Rolle des selbständigen, dritten Spielers schlüpfen und das derzeit bestehende, stämmische Format „regierender Osten gegen oppositionellen Westen“ durchbrechen.

Was gilt es dafür zu tun? Dem Land muss eine starke, bürgerliche Opposition präsentiert werden, die frei von ethno-kulturellen Manierlichkeiten ist.

Eine Opposition, die sich in beiden Sprachen an die Bürger wendet, ohne darin ein Problem zu sehen.

Eine Opposition, welche die Regierenden nicht für ihre Russophilie sondern für ihre Korrumpiertheit und Inkompetenz kritisiert.

Eine Opposition, die Masepa, Schuchewitsch und Golodomor in Ruhe lässt, und sich auf polizeiliche Willkür, Steuerpolitik und Beamtenlaunen konzentriert.

Eine Opposition, die von abgedroschenen Phrasen wie „Nation“, „Ukrainertum“ bzw. „slawische Brüderlichkeit“ Abstand nimmt und diese durch den umfangreichen Terminus „Bürger“ ersetzt.

Eine Opposition, die von Janukowitsch und Co. nicht als Schreckgespenst „Bandera“ und damit als natürlicher Mobilisator der Wähler im Südosten genutzt werden kann.

An der Nahtstelle zwischen zwei Zivilisationen ist die zentrale Ukraine toleranter gegenüber fremden Ansichten und betrachtet viele Dinge breiter und tiefer.

Hier entsteht ein vollständigeres Bild der ukrainischen Wirklichkeit als im Lwower Glockenturm oder den Donezker Halden.

Diese goldene Mitte liegt zwischen zwei gefährlichen Extremen und nur hier kann ein neues Oppositionsprojekt entstehen, das fähig wäre, die sprudelnde Tätigkeit der östlichen und westlichen Stämme zu neutralisieren.

Eine solche Opposition kann natürlich nicht alle ukrainischen Probleme lösen. Aber sie gibt dem Land zumindest Hoffnung und das ist schon nicht wenig!

28.06.2010 // Michail Dubinjanskij

Quelle: Ukrainskaja Prawda

Ãœbersetzer:   Stefan Mahnke — Wörter: 1206

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