FacebookXVKontakteTelegramWhatsAppViber

Die Illusion der eigenen Angst

0 Kommentare

Die heutige ukrainische Regierung wird des Klonens russischer Erfahrungen auf verschiedenem Gebiet – von der Machtvertikale bis zu berüchtigten „nationalen Projekten“ – bezichtigt. Es spricht einiges dafür, dass die Kritiker durchaus Recht haben.

Die nationale Opposition steht der Staatsmacht jedoch keineswegs nach, sondern übernimmt mit großem Eifer die Erfahrungen ihrer russischen Kollegen aus der Opposition.

Die Situation in der Ukraine ist zwar eine andere, trotzdem lassen sich Julija Timoschenko und ihre Mitstreiter von Wahl zu Wahl immer wieder zu „Neuauflagen“ verleiten. Dies bestätigt auch die vorläufige Bilanz der Regionalwahlen vom 31. Oktober.

Der Ursprung eines solchen Verhältnisses zu den Wahlen ist sicher in den Biographien der Leader der heutigen Opposition zu suchen. Die Rhetorik der Jahre 2000 bis 2004 über zynische, gefälschte Wahlen im Interesse der Machthaber wurde begrüßt und war für das Land eine Neuheit. Die damaligen „Orangenen“ waren nicht an der Macht beteiligt und genossen durchaus einen Kredit an Vertrauen, die Unterstützung von Millionen, die bereit waren, gegen die verhasste Macht zu protestieren. Unter diesen Bedingungen war die schroffe Rhetorik eine vollkommen legitime politische Technologie. Doch die Zeiten ändern sich, indes Politiker und ihre Losungen die alten bleiben.

Nach einer Reihe von Wahlen, in denen Timoschenko ununterbrochen ihre Präsenz auf verschiedenen Machtebenen verstärkt hatte, wurde jede beliebige Abwesenheit wie ein Versagen gewertet. Die Niederlage in den Wahlen ist ein zusätzlicher Schlag gegen den Mythos der „starken Partei mit einer starken Persönlichkeit an der Spitze“, der Verkörperung der Kräfte des Guten, die dem Bösen widerstehen. In echten, rechtmäßigen Wahlen sollte das Gute allerdings immer siegen. In Übereinstimmung mit dem Weltbild der Vertreter des Timoschenko-Blocks kann es deshalb in der Ukraine lediglich zwei Arten von Wahlen geben: Diejenigen, in denen der Block Julia Timoschenko (“Batkiwschtschyna/Vaterland”) von Julija Timoschenko siegt, oder diejenigen, die von der zynischen Staatsmacht gefälscht wurden.

Erinnern wir uns an das Gebiet Ternopol im Jahre 2009: Der erfolgslose Versuch die Wahlen aufzuheben erwies sich für den Block Julija Timoschenkos (BJUT) als kalte Dusche. Die komödienreifen Versuche des BJUT, die Teilnahme an den Wahlen zu verweigern führten zum Verlust der Vertretung im Rat einer Hochburg der Partei, die sich damals übrigens noch lange nicht in der stummen Opposition befand. Denn die Abstimmung, wie angeführt wird, „war von der kriminellen Macht gefälscht worden“, und die Wahlen an sich wurden zu den „schmutzigsten und zynischsten in der Geschichte der Ukraine“ erklärt.

Doch dieses Mal ging es glimpflich ab. In den Präsidentenwahlen unterstützten die Ternopoler Timoschenko trotz allem, doch die Wahlkampagne 2010 an sich wurde zum schwersten Misserfolg für den Leader des BJUT. Zwischen der ersten und zweiten Runde waren die Panik der Anhänger des BJUT, die fehlende Überzeugung, dass die Wahlen in ein positives Resultat münden und die Angst, sie ganz zu verlieren, durchaus bemerkbar. Anstatt einer positiven Agitation und Überzeugung vom bevorstehenden Wahlsieg bekamen die Wähler den „Kampf gegen die in der Vorbereitung begriffenen Wahlfälschungen“ und eine gebetsartige Fernsehschau (gemeint ist die Abschlussveranstaltung Timoschenkos “Gebet für die Ukraine”) bei 15 Grad Minus, die am ehesten einem Leichenschmaus glich, zu sehen.
Es ist nicht verwunderlich, dass unter Beteiligung der Konkurrenten Gerüchte über einen Wahlboykott Timoschenkos nach dem „Ternopoler Drehbuch“ intensiv zu zirkulieren anfingen.

Die traditionellen Drohungen eines neuen Maidan führten zu nichts. Sofort nach Bekanntgabe der Endergebnisse wurden die Wahlen im Stab von Timoschenko als „die schmutzigsten in der gesamten Geschichte des Wahlprozesses in der Ukraine“ bezeichnet.

Das demobilisierende Potenzial von „Vaterland“ zeigte sich in seiner ganzen Pracht bei den vergangenen Regionalwahlen. Die Vorbereitung dazu sollte unabhängig davon, dass das genaue Datum nicht bekannt war, bereits am 8. Februar beginnen. Doch an Stelle von routinierter Arbeit – Fehleranalyse, Ordnung der Parteiorganisationen, Statuten, Dokumentationen und Kadervorbereitung – verstrickten sich die BJUTler in perspektivlose Gerichtsprozesse und Kleinkriege im Parlament.

Es ist unbekannt, welches Ziel die Mitstreiter von Timoschenko verfolgten, als sie die bevorstehenden Regionalwahlen zur „Farce“ erklärten und deren Ergebnisse bereits vor dem Tag der Abstimmung nicht anerkannten.

Man kann zum Beispiel Anatoli Hryzenko verstehen, der am Vorabend der Wahlen erklärte, dass der Tag der Abstimmung nichts entscheide. Denn wie die Wahlergebnisse belegen, konnte sich die Partei Hryzenkos auch lediglich in ihrem Heimatgebiet Tscherkassy aus der Rolle des „Außenseiters“ befreien.

Den täglichen oder wöchentlichen Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben!

Doch weshalb sprach die Partei „Vaterland“, die, von einer Reihe problematischer Regionen abgesehen, absolut starke Kandidaten hatte, noch bis zu den Wahlen von einer geleiteten Fälschung der Abstimmung? Auf der einen Seite warnt „Vaterland“ davor, mittels Verallgemeinerungen über die Ukraine lediglich „die Durchschnittstemperatur im Zelt zu messen“, auf der anderen Seite bezeichnet sie die Willensäußerung der Wähler vom 31. Oktober als „völlig entstellt“. Der unerfahrene Wähler interessiert sich jedoch nicht für das regionale „Klonen“ der Partei „Vaterland“. Ihm ist wichtig zu wissen, was ein Kandidat für die Lösung der Probleme seiner Stadt oder seines Dorfes anbietet.
Und gerade hier riskieren die ukrainischen Oppositionellen in eine der Fallen zu tappen, die sowohl die russische als auch belarussische Opposition aufs Glatteis geführt haben: Wenn die Wahlen von Vornherein gefälscht sind, warum sollte man dann daran teilnehmen? Wenn die Macht allmächtig ist, wenn sie vor nichts halt macht, wenn schon alles entschieden ist, weshalb sollte dann der Wähler, der mit der Macht unzufrieden ist, sich anstrengen und ins Wahlbüro gehen?

Wahlfälschung ist klarerweise kriminell. Doch nicht weniger kriminell im Bewusstsein des Bürgers ist die bewusst unwahre (oder sagen wir, die nicht überprüfbare) Nachricht über die Vorbereitung zur Fälschung. Der Unglauben in die Möglichkeit, die Macht durch das Mittel der Stimmabgabe zu ändern weckt allerdings die Apathie der Bürger, auf die die nationalen Politiker so gern aufmerksam machen.

Es ist absolut möglich, dass eben derjenige Arsen Awakow, der ungeachtet dunkler Prognosen ein gutes Ergebnis bei den Bürgermeisterwahlen in Charkow erzielte, sich bei der Stimmauszählung um vieles sicherer gefühlt hätte, wenn es ihm gelungen wäre, seine Wähler besser zu mobilisieren. Das wäre jedoch auf keinen Fall durch Geschichten über „Terror und die Angst in den Augen“ oder dadurch möglich gewesen, dass man die Wahlen vom 31. Oktober zu den „allerschmutzigsten in der gesamten Geschichte der Unabhängigkeit“ und zur Intrige der betrügerischen Macht erklärt. Das ist natürlich sehr einfach, allumfassend und erklärt vieles. Womöglich deshalb ist es für unsere Oppositionäre noch viel schwerer, der Illusion der eigenen Angst zu entkommen.

03.11.2010 // Jaroslaw Jaworskij

Quelle: Lewyj Bereg

Übersetzer:   Alexander Hering — Wörter: 1033

Magister in Ostslawistik und Osteuropäischer Geschichte; Fernstudium DaF; DAAD-Sprachassistenz in Kiew von 2011-2012; Übersetzer bei den Ukraine-Nachrichten seit 2010; Dolmetscherpraktikum beim Europäischen Jugendwerk 2011; Dozent für Russisch an der Universität Leipzig seit Oktober 2012; seit Dezember 2012 Staatlich geprüfter Dolmetscher für die russische Sprache im Fachgebiet Wirtschaft, freiberuflicher Übersetzer/Dolmetscher.

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und täglich oder wöchentlich per E-Mail.

Artikel bewerten:

Rating: 6.0/7 (bei 2 abgegebenen Bewertungen)

Neueste Beiträge

Kiewer/Kyjiwer Sonntagsstammtisch - Regelmäßiges Treffen von Deutschsprachigen in Kiew/Kyjiw

Karikaturen

Andrij Makarenko: Russische Hilfe für Italien

Wetterbericht

Für Details mit dem Mauszeiger über das zugehörige Icon gehen
Kyjiw (Kiew)28 °C  Ushhorod31 °C  
Lwiw (Lemberg)28 °C  Iwano-Frankiwsk29 °C  
Rachiw19 °C  Jassinja21 °C  
Ternopil24 °C  Tscherniwzi (Czernowitz)30 °C  
Luzk26 °C  Riwne27 °C  
Chmelnyzkyj29 °C  Winnyzja28 °C  
Schytomyr28 °C  Tschernihiw (Tschernigow)29 °C  
Tscherkassy29 °C  Kropywnyzkyj (Kirowograd)29 °C  
Poltawa29 °C  Sumy28 °C  
Odessa28 °C  Mykolajiw (Nikolajew)33 °C  
Cherson32 °C  Charkiw (Charkow)28 °C  
Krywyj Rih (Kriwoj Rog)31 °C  Saporischschja (Saporoschje)32 °C  
Dnipro (Dnepropetrowsk)30 °C  Donezk29 °C  
Luhansk (Lugansk)30 °C  Simferopol28 °C  
Sewastopol27 °C  Jalta24 °C  
Daten von OpenWeatherMap.org

Mehr Ukrainewetter findet sich im Forum

Forumsdiskussionen

„Was will Faschisten-Russland schon eskalieren? Haben die nicht sogar Truppen von den NATO-Grenzen abgezogen weil es eng wird?“

„Den direkten Konflikt mit Russland gibt es doch schon lange. Natürlich ist das kein heißer Konflikt. Aber, gesprengte Pipelines, diverse Hackerangriffe, Morde an in Europa lebenden russischen Migranten...“

„Die Einwanderung ist inzwischen leichter geworden. Siehe: unbefristete-aufenthaltsgenehmigung-ein ... 48448.html Ansonsten halt der übliche Kram: Ehe, KInd, ukrainische Ahnen, Ostfronteinsatz. Aber dann...“

„Die temporäre Aufenthaltsgenehmigung hat vor allem den Nachteil, dass du für die jeweilige Erneuerung jedes Mal eine Grundlage brauchst, deren Bedingungen sich ändern können. Mit einer befristeten...“

„In der Praxis habe ich auch noch von keinem Einwanderer hier gehört, dass er seinen ausländischen Führerschein umgetauscht hat. Allenfalls, dass sich Leute einen zweiten ukrainischen zugelegt haben....“

„Liebe Alle ich habe an anderer Stelle einiges zum Thema gelesen, jedoch nicht die wirklich passende Antwort gefunden. Vielleicht hier? Muss man wirklich, wenn man eine Aufenthaltserlaubnis für die Ukraine...“

„Hat jemand eine Idee wie ich mein Bike von köln beispielsweise nach krementschuk schicken kann? Gibt es jemanden der Transporte in die Ukraine macht? Dankeeee“

„Hatte gestern so eine Situation. Nach einer Mautstelle, stand polnische Policia und verfolgte mich anschließend mit Blaulicht. Bitte folgen, das war in Kattowitz. Sie meinten, ich hatte kein Licht an,...“

„Hallo Forengemeinde, bin heute früh 6 Uhr über Korczowa in die Ukraine eingereist. 1,5 h ohne Probleme. Straßen, sind teilweise sehr marode“

„Scheidungsurteile sind unbegrenzt gültig. Auch nach 10 oder 20 Jahren. Aus dem einfachen Grund, weil der Inhalt, also die Entscheidung, sich ja nicht mit Zeitablauf ändert. Normalerweise jedenfalls nicht....“

„Klingt irgendwie nach Wunschkonzert. Die Person erscheint mir wenig Schutz zu benötigen, reist ja immer hin und her. Paragraph 24 bedeutet, Du benötigst den Schutz, Du bleibst hier, Du lernst Deutsch,...“

„Ja das ist Blödsinn dass die Waffen nicht gegen Russland selbst eingesetzt werden sollten. Die bekloppten Russen-Faschisten fragen doch auch nicht ob sie ukrainische Zivilisten mit Iran-Drohnen beschiessen...“

„Hallo Waldi, im Grunde bin ich voll bei Dir! Da aber die Unterstützer der Ukraine ihre Rüstungsindustrie nicht hochfahren, die Produktion von Munition ist viel zu gering, wird es wohl nichts mit einem...“

„Wenn verhindert werden muss dass RU weiter (und noch stärker) eskaliert, müssen auch militärische Anlagen und Aufmarschgebiete in RU angegriffen werden können. Dies ist kein Eskalationsschritt sondern...“

„Hallo, vielleicht kann sich jemand zu folgenden Fragen äußern: - Ein Ukrainer mit biometrischem Pass war mit gültigem Visum von August 21 - August 22 in Deutschland (ohne gemeldet zu sein, bzw. Aufenthaltsgenehmigung...“

„Fahre immer schwarze Autos, vielleicht liegt es auch an der Farbe.“

„Bin da noch nie angehalten worden, vll. liegt es an deinem Auto. An der Grenze wird man grundsätzlich mit was konfrontiert was man sich nicht erklären kann und wo man nicht drauf vorbereitet ist. Ist...“

„@ensowo dazu gibt es wohl endlose Geschichten, selbst bin ich zweimal in gleicher Art und Weise kontrolliert wurde, das erste Mal, stichprobenartig, da gehe ich von einem Zufall aus. Beim zweiten Mal allerdings...“

„am 20.05.Ausreise über Budomiers mit dem Wohnmobil.Wir hatten Schwierigkeiten mit dem Ukrainischen Zoll. Das Wohnmobil hat ein Gesamtgewicht von 3500 Kg und die Zollbeamtin wollte das Wohnmobil als Lkw...“

„Ein Waffenstillstand hat den " Charme" keine Gebiete offiziell abtreten zu müssen und nur auf so was in der Art würden sich die Ukrainer eh nur einlassen. Putin hat einen Lauf, in 2024 wird sich eh nichts...“

„An einem wirklichen Waffenstillstand hat doch Putin gar kein Interesse, sieht man doch seit 2014. Nur dafür dass die Ukraine die besetzten Gebiete abtritt was sie nicht machen wird. Eine Offensive wird...“

„Hallo Waldi, im Grunde bin ich voll bei Dir! Da aber die Unterstützer der Ukraine ihre Rüstungsindustrie nicht hochfahren, die Produktion von Munition ist viel zu gering, wird es wohl nichts mit einem...“

„"Eine Apostille hat kein Ablaufdatum. Die Urkunde, die mit der Apostille versehen ist, kann aber eine Gültigkeitsfrist beinhalten. In der Regel dürfen seit der Ausstellung des Dokuments mit Apostille...“

„Verteidigung wird unter den jetzigen Umständen immer mehr zum Selbstmord! Was die ukrainische Armee dringend braucht sind schwere Waffen zur Verteidigung. Und dazu gehören nun einmal ATACMS-Raketen und...“

„Hallo nochmal.....wisst ihr wie lange mein apostilliertes Scheidungsurteil aus Belgien in der Ukraine gültig ist?“