Die von Russland besetzte Krim verwandelt sich in eine Wüste. Dabei nicht nur im übertragenen, sondern auch im direkten Sinne. Der Wassermangel auf der Halbinsel wird immer bedrohlicher. Die Besatzungsmacht schlägt bereits Alarm und führt in ihr Lexikon den neuen Terminus „Wodomor / Wassermord“ ein. Das ist ein eigenartiger Vorwurf an die ukrainische Regierung und eine zynische Allusion auf den ukrainischen Holodomor der Jahre 1932-1933.
In jedem Fall nähert sich die Situation tatsächlich einer kritischen Grenze. Durch den diesjährigen trockenen Sommer sind die dortigen Flüsse ausgetrocknet, die Wasserspeicher sind erschöpft, das Wasserniveau in den artesianischen Brunnen hat sich merklich abgesenkt. In den Städten wurde ein Regime der Wassereinschränkung eingeführt. Doch nicht einmal das hilft. Der Wasserdruck ist nicht ausreichend, damit es in die oberen Stockwerke der Wohnhäuser gelangt. Die Besatzungsmacht musste Wassertransporter benutzen und in den Höfen Wasserkübel aufstellen. Die Unzufriedenheit der Krimbewohner wächst und provoziert soziale Unruhen.
Klar ist, dass der Hauptgrund für den Wassermangel die Sperrung des Nord-Krimkanals ist, mit dem Dnipro-Wasser herangeführt wurde. Denn er gewährleistete 85 Prozent des Wasserbedarfs der Krimbewohner. Ihn baute noch Nikita Chruschtschow, der sein Programm der Umwandlung der bereits ukrainischen Krim in eine Region realisiert, die für die Landwirtschaft geeignet ist.
Der erste Abschnitt des Wasserlaufs wurde am 17. Oktober 1963 eröffnet. Und dank des Wassers des Kanals gelang es, die Anbaufläche der Region Krim der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik zu vervierfachen. Rasant stiegen die Ernteerträge, wurden Weinplantagen angelegt. Gleichzeitig war die Ausweitung der Viehhaltung auf der Krim spürbar. Begannen Betriebe zu arbeiten, die ständige Wasserzufuhr benötigten.
Den zweiten Abschnitt eröffnete man bereits unter Michail Gorbatschow – 1986. Es wurden ein dritter und ein vierter Abschnitt geplant, doch zu ihrer Realisierung kam es nicht mehr. Ja und es wird kaum gelingen, diese Projekte zu realisieren, zumindest in den nächsten Jahren.
Die Schließung des Kanals
Am 13. Mai 2014 wurde der Kanal mit Hilfe eines Damms im Gebiet Cherson geschlossen, das heißt erst zwei Monate nach der Annexion der Krim durch Russland. Und als Grund diente nicht allein der zwischenstaatliche Konflikt, obgleich das bereits gereicht hätte, um die Wasserversorgung der besetzten Gebiete zu sperren. Die Besatzungsmacht wollte keinen entsprechenden Vertrag mit der Staatlichen Wasseragentur der Ukraine abschließen und die Schulden für das gelieferte Wasser bezahlen. Mehr noch begannen die Besatzer unsanktionierte Wasserentnahmen vorzunehmen. Das überzeugte die ukrainische Regierung endgültig von der Notwendigkeit der Blockierung des Zufluss für das Dnipro-Wasser auf die Halbinsel.
Anschließend ist die Krim bereits sechs Jahre gezwungen mit den eigenen Wasserressourcen auszukommen. Es war nicht schwer vorherzusehen, dass das Wasserproblem früher oder später einen kritischen Charakter annehmen wird.
Und das geschah in diesem Jahr. Dagegen, wie Experten bekräftigen, liegt das Problem nicht nur in der Kanalschließung. Seine Rolle spielte noch ein weiterer Faktor – der Klimawandel und die Wetteranomalien. Denn früher bildeten sich die Wasservorräte auf der Halbinsel auch über die Schneeschmelze im Frühjahr in den Bergen im Süden der Halbinsel, das Wasser gelangte in die Flüsse und weiter in die Wasserspeicher. Doch dieses Jahr war der Winter praktisch schneelos. So füllten sich im Frühjahr die Flussläufe nicht. Verschlechtert wurde die Situation durch die kritisch geringen Niederschläge im Frühling und Sommer.
Wer hat „Wodomor“ gesagt?
Die Ukraine hat ihrerseits sowohl unter der vorherigen als auch der amtierenden Regierung versucht Verhandlungen über die Wasserzufuhr zu führen, doch lediglich in begrenztem Umfang. Um die Probleme der Bürger zu lösen, jedoch keine Nutzung des Wassers durch die russische Armee oder Rüstungsunternehmen zuzulassen. Die Staatliche Wasseragentur der Ukraine trat mit einem entsprechenden Vorschlag auf, betonend, dass Verträge über die Wasserzufuhr in den Nord-Krimkanal „nur nach der Festlegung der legitimen Organe, welche die Interessen der Wassernutzer der Krim vertreten, im Rahmen der Gesetze der Ukraine geschlossen werden können.“ Übrigens hat die Besatzungsmacht bisher diese Vorschläge verworfen.
Beispielsweise hat der Präsident des sogenannten Parlaments der Krim, Wladimir Konstantinow, bereits voriges Jahr erklärt: „Wir brauchen kein Wasser von der Ukraine. Es ist schrecklich verschmutzt. Mir haben vor kurzem Fachleute gesagt, dass das Wasser, welches auf die Krim gelangte, einen Anstieg der Krebserkrankungen begünstigte. Was dort hineingelassen wird, kontrolliert niemand. Jetzt sollen sie sich um ihre eigenen Probleme kümmern.“ Und der Chef der Besatzungsverwaltung der Halbinsel, Sergej Axjonow, versicherte, dass „es kein Wasserdefizit auf der Krim gibt. Wirtschaft und Landwirtschaft der Halbinsel entwickeln sich und der Touristenstrom steigt.“
Dafür redete Konstantinow in diesem Jahr, als die Situation der Wasserversorgung eine kritische Form annahm, bereits ganz anders. Dem, was er damals sagte, widersprechend: „Wir müssen auf internationaler Ebene Ansprüche an den ukrainischen Staat initiieren … Das, was heute mit dem Wasser passiert, kann man ruhig als ‚Wodomor‘ der Krimbewohner bezeichnen.“
So wurde mit der leichten Hand Konstantinows dieser Terminus – „Wodomor“ – ins Leben gesetzt. Er wurde sofort von den Besatzungszeitungen aufgegriffen. „Wenn in den Jahren 1932-33 ‚jemand‘ den Holodmor in die Ukraine gebracht hat, so bringt die Kyjiwer Junta 2014 ihr nicht geringeres Analogon auf die Krim. Nennen wir ihn ‚Wodomor‘. Übertreibung? Nicht im geringsten. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschheit, dessen Zeugen wir heute sind“, derartige und ähnliche Passagen kann man derzeit in der von der Besatzungsmacht kontrollierten Presse lesen.
Der Ständige Vertreter des Präsidenten der Ukraine in der Autonomen Republik Krim, Anton Korynewytsch, [ein symbolischer Posten ohne praktische Bedeutung, A.d.Ü.] auf diese Vorwürfe antwortend, schrieb am 24. September auf seiner Facebook-Seite: „Von Seiten Russlands ertönen verschiedene Erklärungen und Kommentare anlässlich dessen, dass jemand kein Recht hätte, den Fluss Dnipro zu ‚sperren‘ und ‚den Zugang zum Wasser entzogen hat‘. Aus diesem Anlass kann man Folgendes sagen. Der Fluss Dnipro fließt frei auf den Territorien der Ukraine, von Belarus und Russland. Niemand hat seinen Lauf und den Zugang zum Wasser für die Leute gesperrt, die auf dem Gebiet leben, durch das der Fluss fließt. Der Dnipro fließt nicht durch die Krim. Die Ukraine hat nicht den Flusslauf des Dnipro gesperrt, sondern ein künstliches technisches Bauwerk (Kanal), das sich auf dem Territorium der Ukraine befindet, unter der Jurisdiktion der Ukraine und das vom Haushalt der Ukraine finanziert wird. Dazu hat die Ukraine das komplette Recht. Kein anderer Staat hat das Recht über den Kanal zu verfügen. Das ist ein Bauwerk und nur die Ukraine bestimmt, in welcher Weise es genutzt wird. “
Wasser-„Hilfslieferungen“
In der ukrainischen Politik werden Diskussionen über die Wiederaufnahme der Lieferung von Dnipro-Wasser an die Krim geführt. Sie wurden in diesem Jahr im März aktiver. Zu ihrem Initiator wurde Denys Schmyhal, der in diesem Moment gerade den Posten des Ministerpräsidenten einnahm. Er ließ die Möglichkeit von Wasserlieferungen „im Falle einer humanitären Katastrophe“ auf der Krim zu. Davon sprach auch der Fraktionschef von Sluha Narodu [Diener des Volkes, Präsidentenpartei, A.d.Ü.], David Arachamija.
Bei einigen fand die Position Zustimmung, dagegen verurteilte die Mehrzahl der politischen Kräfte und der zivilgesellschaftlichen Organisationen (gemeinsam mit den krimtatarischen) die Idee selbst und bezeichneten sie als „Verstoß gegen das Sanktionsregime“ und natürlich „Handel auf Blut“. In jedem Fall bringen die Kritiker der humanitären Entscheidung zumindest ein wesentliches Argument vor: wir können nicht kontrollieren, ob das Dniprowasser für den Bedarf der russischen Armee und Flotte, der Rüstungsindustrie und den örtlichen Unternehmen genutzt wird, die sich unter ukrainischen und westlichen Sanktionen befinden.
Merken wir an, dass das Problem des Nord-Krim-Kanals auch noch darin liegt, dass es nicht einmal mit Zustimmung der ukrainischen Regierung es sofort gelingen wird, Wasser zu liefern. Sechs Jahre Nichtnutzung verursachten Verfall. Für die Erneuerung der Zweckbauten, die Reparatur der Pumpenstationen usw. braucht es Monate, wenn nicht Jahre.
Bei der UNO beschweren
Russland beruhigt sich nicht und versucht die Frage des „Wodomors“ auf der Sitzung der UNO-Generalversammlung aufzuwerfen. Mit einem entsprechenden Schreiben trat die ehemalige Staatsanwältin der Krim und derzeitige Duma-Abgeordnete, Natalija Poklonska, auf. Eine nicht sehr weitsichtige Wahl der Repräsentantin durch Russland, einbeziehend, dass sie in Sanktionslisten auftaucht und gegen sie ein Strafverfahren in der Ukraine läuft. In jedem Fall hat das Büro des Generalsekretärs der Organisation diese Frage nicht auf die Tagesordnung gelassen, berechtigt meinend, dass dies ein russisches Problem sei, das eng mit der gesetzeswidrigen Annexion der Halbinsel verbunden ist. Und der ständige Vertreter der Ukraine bei der UNO, Serhij Kyslyzja, erklärte seinerseits, dass eine Wiederaufnahme der Wasserzufuhr auf die Krim erst dann möglich ist, wenn Russland sich offiziell mit dieser Bitte an die Regierung der Ukraine wendet und sich dabei selbst als Besatzerland anerkennt.
„Um Gespräche über Wasserlieferungen zu beginnen, müssen sie (die Russen) erstens anerkennen, dass sie ein Besatzerstaat sind und sich offiziell als Besatzerland, gemäß dem humanitären Recht, an uns wenden. Sie müssen sich an die Regierung der Ukraine mit einer offiziellen Bitte wenden und nicht mit Drohungen, mit Hysterie, verstehen Sie. Und dann werden wir sehen, dann werden die entsprechenden Ministerien und Behörden schauen, wie unsere Reaktion sein wird. Soweit mir bekannt ist, hat sich das Besatzerland zum heutigen Tag niemals an die Ukraine mit der Bitte gewandt, einen Dialog über dieses Problem zu beginnen. Anstelle dessen sehen wir viel Aufregung und Hysterie hinter den Kulissen dieses Problems“, betonte Serhij Kyslyzja in einem Kommentar für Radio Swoboda.
Fantastische Projekte und ökologische Folgen
Die russische Regierung hat gemeinsam mit der Besatzungsregierung der Krim 2014 bravourös versprochen, das Problem der Wasserversorgung der Krim ohne Beteiligung des Kernlandes der Ukraine zu lösen. Sie präsentierten die fantastischsten Projekte: eine Wasserleitung aus dem Kubangebiet auf die Krim, Entsalzungsanlagen für Schwarzmeerwasser, Regenwolken über die Krim treiben und sie dann per Beschuss zum Abregnen bringen usw.
Trotzdem für die Lösung des Problems Milliarden an Rubel aus dem russischen Budget bereitgestellt wurden, blieben alle Projekte unrealisiert, außer einem – der raschen Erhöhung von artesianischen Brunnen. Übrigens hat es die Besatzungsmacht damit offenbar übertrieben. Die unkontrollierten Bohrungen begannen der Umwelt der Halbinsel immer mehr Schaden zuzufügen. Die Süßwasservorräte erschöpfen sich rasch. Ihnen folgt salziges Meerwasser. Die Böden verwandeln sich in eine unfruchtbare Wüste. Jetzt schlagen bereits Ökologen Alarm: Die äußerst schädlichen Folgen für die Umwelt könnten unumkehrbar werden.
24. September 2020 // Ljubko Petrenko
Quelle: Zaxid.net
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