Ukraine der zwei Geschwindigkeiten
Beschleunigt beginnen die Ukrainer aus dem Südosten die Prozesse durchzumachen, welche die Westukraine vor zwei Jahrzehnten durchlaufen hat
Gemeint ist damit die Geschwindigkeit mentaler Veränderungen, gesellschaftlicher Transformation und ziviler Prozesse. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir mindestens zwei Ukrainen. Eine von ihnen, die langsamere, führte zu unserem zwanzigjährigen beschämenden Rückstand. Nun tritt sie schamlos auf die Bremse. Also kann unser Weg nach Europa als langer Bremsweg bezeichnet werden.
Urvaterland der schnellen Ukraine wurde Galizien. Speziell die drei galizischen Oblaste lösten sich bereits 1990 aus der Unterordnung der Kommunisten, ein Jahr vor dem formalen Zerfall der Sowjetunion. Speziell die Galizier begannen Prozesse zur Rückeroberung ihrer eigentlichen Identität, zur individuellen europäischen Integration, zur Überwältigung der immer wieder durchbrechenden kommunistischen Vergangenheit. Sie begannen mit der Bildung einer neuen Basis für die bürgerliche Gesellschaft etc. So entstand die Ukraine-A, welche versteht, dass zu den lebensnotwendigen Prioritäten die Annäherung an die zivilisierten Länder des Westens gehört, sowie die Gründung eines Rechtsstaats, die Formulierung nationaler Interessen, die Ausarbeitung eines Gesellschaftsvertrags und die Wiedererlangung eines Konsens‘ zwischen den Eliten und dem Volk und ein Bewusstsein für bzw. die Achtung der Werte menschlicher Individuen.
Die Ukraine-B wollte entweder all diese Prozesse nicht sehen, indem sie ihren Blick der Vergangenheit zuwandte, oder sie sah sie durch das Prisma der russischen Propaganda an: mit Misstrauen, Unzufriedenheit, Gereiztheit, oder auch mit der stillen Hoffnung, dass all das einen Bogen um sie macht. Sie steuerte nicht einmal mit niedriger Geschwindigkeit auf eine neue Realität zu, sondern mit enormer Trägheit. Ihre Adepten und Sklaven nährten sich von der Hoffnung darauf, dass es gelingt, die Teilnahme an Änderungsprozessen zu vermeiden, dass die „Verbesserung“ jemand anderes übernimmt und dass es irgendwie unbemerkt vonstattengeht, ohne besondere Verluste oder Stress. Sodass die Anführer so sind und nicht anders, weil es sich so ergeben hat; dass man der Obrigkeit gehorchen muss, weil es sich so gehört; dass es sich lohnt, sich an erreichbaren Freuden zu erfreuen, wie Bier und Fußball, weil es keine anderen gibt; dass der Staat immer ihre unrentable und oft unsinnige Arbeit abkaufen wird, weil es immer so war.
Die Schufte, die über zwei Jahrzehnte hinweg auf dieser „Gebremstheit“ der Ukraine-B parasitierten, belebten ihre trügerischen Hoffnungen und perspektivlosen Fantasien gern. Zementierten sie ein, während sie die beschämende Wirklichkeit mit Feigenblättern aus Pseudo-Werten bedeckten. So begann der abergläubische und atheistische „Sowok“ („Homo sovieticus“ A.d.Ü.) sich für den Beschützer der „wahren, nämlich der russischen Orthodoxie“ zu halten. Der um das Glück der „billigen Wurst“ gebrachte Proletarier war leicht zu überzeugen, dass er das „ganze Land ernährt“. Der Kleinrusse der anderen Sorte übernahm mit Knechtseligkeit [sklavischer Kriecherei] die Version des älteren Bruders, dass Europa zu hassen und Russland zu lieben sei, wofür die Großväter fielen.
Die Ereignisse vom Winter 2013/2014 vergrößerten den Geschwindigkeitsunterschied: Ukraine-A beschloss zu beschleunigen, Ukraine-B trat auf die Bremse. Im Ergebnis kam es zum Unfall, es gibt Opfer.
Es wird noch mehr geben. Ebendiese Gefahr veranlasste einen Teil der Ukraine-B dazu, „Gas zu geben“. Nicht wenige Ukrainer aus dem „Kosakenreich“ und dem „Südosten“ beginnen mit erhöhtem Tempo jene Prozesse zu durchlaufen, die der Westteil des Landes vor zwei Jahrzehnten durchgemacht hat: Nationale Selbsterkenntnis, nationale Wiedergeburt, Hymne-Singen bis zur Heiserkeit, alles – vom eigenen Gesicht bis zum öffentlichen Mülleimer – in den Nationalfarben blau-gelb einfärben.
Wir wissen, wie das ist, wir sind da schon durch. Noch dazu verstehen wir, dass das erst der Anfang ist. Weiter kommt die Bewusstwerdung nicht einfacher Wahrheiten, dramatischer Aufklärungen, komplizierter Dilemmata etc. Es kommt heraus, dass uns der Russe kein Bruder ist, dass es überhaupt keine (ost)slawische Gemeinschaft gibt, dass es in der Geschichte Dinge gibt, auf die man stolz sein kann und solche, für die man sich schämen kann u.s.w. Aber noch schlimmer ist, dass es weiterhin lang andauernde und schwierige Prozesse werden, die uns die Augen dafür öffnen, dass es die idealen Ukrainer nicht gibt, aber möglicherweise gesetzeshörige Bürger; dass es keine Gleichheit gibt, jedoch Gerechtigkeit möglich ist; dass die Einigkeit (das einige Land) Solidarität und nicht Einheitlichkeit im Sinne von Einförmigkeit bedeutet. Und schließlich kommt es dazu, dass wir uns an den Gedanken gewöhnen müssen, dass wir allein nicht fähig sind, einen sicheren, vermögenden, zivilisierten Staat aufzubauen, ohne die Hilfe westlicher Strukturen, das heißt ohne EU und NATO. Wir werden nicht umhin kommen, das Lied über die Einzigartigkeit der ukrainischen Ethnie und über den besonderen dritten Weg beschämt in bessere Zeiten zu verlegen.
All das ist nicht einfach. Die Hauptfrage ist also: Wie schnell wird die Ukraine-B bereit dafür sein, das heißt, wie lange muss die Ukraine-A warten und welchen Preis hat das Warten? Umso mehr, als auch die Ukraine-A nicht einförmig ist, nicht alle wollen warten. Für die „Westler“ ist es natürlich rührend, die Wende der „Ostler“ zu sehen, aber zum zweiten Mal diese „Wyschywanka-Manie“ (Wyschywanka: Traditionell bestickte Bluse; A.d.Ü.) und diese „Schtsche-ne-wmerla-Phonie“ (= die ersten Worte der ukrainischen Hymne ‚noch ist sie nicht gestorben‘; A.d.Ü.) zu durchleben ist keine besonders angenehme Unterhaltung, besonders, wenn uns all das die Vorwärtsbewegung erschwert.
Deswegen sollte die Ukraine-A eine Ersatzvariante in petto haben, für den Fall, dass der erweckte Teil der Ukraine-B nicht aus dem Knick kommt. Das Land braucht radikale und schnelle Veränderungen.
Kampf gegen Korruption, das Heranholen von Investitionen, eine intakte Verwaltung, transparente Prozedere, Stärkung des Humankapitals, Beistand zur Entwicklung des Unternehmertums, bürgerliche Initiativen – diese Veränderungen sind nur dort möglich, wo es eine vorbereitete, das heißt geduldige und loyale Bevölkerung gibt.
All das wird lange noch unmöglich bleiben im beleidigten, verbitterten, zum Paternalismus neigenden Donbass, der heute die Verkörperung der Ukraine-B darstellt. Daher können wir es nicht nur nicht gebrauchen, eine Normalisierung dort abzuwarten, sondern wir müssen die nicht normale Situation nutzen zur schnellen Entwicklung des anderen Staatsteils. Sodass dann, wenn die Ukraine-B schließlich „zu Potte kommt“ mit ihren Leiden, Kränkungen und Ansprüchen, bei uns die Staatsmaschinerie schon auf neue Weise funktioniert. Sodass ihnen nichts anderes bleibt, als sich an diese Bedingungen anzupassen und nicht dass wir unsere Bedingungen ihnen anpassen müssen.
Das sind alles Dinge, die man heutzutage auf der Ebene stabiler Regionen lösen kann. Den Bedingungen nach ist klar, dass die Regionen im Rahmen der versprochenen Dezentralisierung genügend Vollmachten erhalten. Wenn nicht, müssen sie sich selbst von unten hochkämpfen. Diese nicht leichte Aufgabe liegt nun erneut vor Galizien, dem Urvaterland der Ukraine-A und ihrem beständigen Motor. Die Bewegung muss jetzt beginnen, dass dann nicht gejammert wird, keiner höre auf Galizien.
15. Juni 2014 // Wolodymyr Pawliw
Quelle: Zaxid.net
Forumsdiskussionen
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„Lieber @Bernd D-UA , ich will nicht leugnen, dass es sich bei diesem Post um Werbung handelt. Nach Rücksprache mit den Admins, ist dieser Teil des Forum ja genau dafür geeignet. Meine Idee war ja auch,...“
Anonymer Gast in Allgemeines Diskussionsforum • Re: Friedensvertrag
„Ich habe gerade eine Doku zum Thema Nordvietnam und Südvietnam und die darin verwickelten Parteien gesehen. Im Norden der Kommunismus, unterstützt unter anderem von Russland, im Süden die Demokraten...“
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Bernd D-UA in Nützliche und interessante Sachen • Re: Buchempfehlung "Die Freiheit in uns" - Die ersten Tage des Maidan.
„So ernst das Thema ist und so sehr mich der Maidan und die Menschen damals bewegt haben, sie hab3n meinen tiefsten Respekt und meine Unterstützung, aber lieber robosebi, Dein Beitrag wirkt wie eine Werbeveranstaltung...“
Anuleb in Politik • Re: Ukraine auf "unumkehrbarem Weg" in die NATO
„Die Willensbekundungen zur Aufnahme der Ukraine in die NATO und der EU dienen doch einzig und alleine dem Zweck, die Moral der Bevölkerung und der Armee etwas aufzubessern. Wenn es denn mal akut werden...“
robosebi in Nützliche und interessante Sachen • Buchempfehlung "Die Freiheit in uns" - Die ersten Tage des Maidan.
„Wer den Krieg in der Ukraine verstehen will, muss den Maidan verstehen! Kyjiw , November 2013. Eine überraschende Entscheidung der ukrainischen Regierung löst eine Welle von Protesten aus, die das Land...“
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„Vielen Dank für die Information“
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„Hallo ! Ich überlege ob ich nach Odessa in die Ukraine Fahre um ein paar Bekannte zu Besuchen. Kann mir jemand genau sagen, wie zur Zeit das Leben in Odessa ist ? Wie ist die Verfügbarkeit vom Strom...“
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„Hallo, Ich wollte einmal fragen ob ihr Tipps zum günstigen Tanken in der Ukraine habt? Gibt es Apps zum Preise vergleichen? Bei meiner Suche habe ich soetwas nicht gefunden. Oder gibt es spezielle Marken...“
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„@naru gut zu wissen, dass die EU Privilegien weiter gelten, ich war mir nur nicht sicher, allerdings geht es eben nur wenn man mit EU Pass reißt und kein ukrainische Staatsbürger mit im Auto sitzt. Mir...“
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„Das ist mit klar. Es gibt keinen Friedensvertrag mit Putin. Darum sollte es auch gar nicht mehr gehen. Der einzige Zweck eines Angebotes eines Vertrages durch die Ukr. soll die moralische Überlegenheit...“
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Naru in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
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Sokon in Allgemeines Diskussionsforum • Friedensvertrag
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Anuleb in Politik • Re: Westliche Waffen auf Ziele in Russland? - „Direkter Konflikt mit Russland rückt immer näher“
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„Die Einwanderung ist inzwischen leichter geworden. Siehe: unbefristete-aufenthaltsgenehmigung-ein ... 48448.html Ansonsten halt der übliche Kram: Ehe, KInd, ukrainische Ahnen, Ostfronteinsatz. Aber dann...“
lapinoskoff in Recht, Visa und Dokumente • Re: Führerschein umtauschen
„Die temporäre Aufenthaltsgenehmigung hat vor allem den Nachteil, dass du für die jeweilige Erneuerung jedes Mal eine Grundlage brauchst, deren Bedingungen sich ändern können. Mit einer befristeten...“
lapinoskoff in Recht, Visa und Dokumente • Re: Führerschein umtauschen
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lapinoskoff in Recht, Visa und Dokumente • Führerschein umtauschen
„Liebe Alle ich habe an anderer Stelle einiges zum Thema gelesen, jedoch nicht die wirklich passende Antwort gefunden. Vielleicht hier? Muss man wirklich, wenn man eine Aufenthaltserlaubnis für die Ukraine...“
Trick in Hilfe und Rat • Fahrrad Transport nach krementschuk
„Hat jemand eine Idee wie ich mein Bike von köln beispielsweise nach krementschuk schicken kann? Gibt es jemanden der Transporte in die Ukraine macht? Dankeeee“
lev in Berichte und Reisetipps • Re: Straßenverkehr, Straßenzustand, Verkehrsregeln, Verkehrskontrollen in der Ukraine
„Hatte gestern so eine Situation. Nach einer Mautstelle, stand polnische Policia und verfolgte mich anschließend mit Blaulicht. Bitte folgen, das war in Kattowitz. Sie meinten, ich hatte kein Licht an,...“
lev in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Hallo Forengemeinde, bin heute früh 6 Uhr über Korczowa in die Ukraine eingereist. 1,5 h ohne Probleme. Straßen, sind teilweise sehr marode“